Geißler als parteiinterne Ein-Mann-Opposition

Geißler als parteiinterne

Ein-Mann-Opposition

Kohl gab sich zufrieden: „In den vergangenen Tagen haben wir mit eindrucksvollen Diskussionen ein Zeichen programmatischer Stärke gegeben.“ Als Bundeskanzler konnte er das sagen. Der Generalsekretär hatte tags zuvor allerdings skeptischer geklungen: „Es reicht nicht, daß wir uns gut finden, unsere Mitbürger außerhalb des Saals müssen uns auch gut finden.“ Als Parteivordenker hat er für seine Zweifel an dieser positive Außenwirkung gute Gründe: tatsächlich bestimmte die faktische Regierungspolitik die dreitägige Debatte, von neuen Ideen und Aufbruchstimmung war dagegen nichts zu spüren.

„Die CDU - grundsatztreu und zukunftsoffen“ hieß der Leitsatz dieses Parteitags: programmatisch gesehen erwies sich die CDU als grundsatztreu, personalpolitisch allerdings als zukunftsoffen. Tagsüber am Kaffeestand und auf den Gängen, nachts in den Hotelbars und sogar mal im Wiesbadener Szene-Cafe „Klatsch“ wurde über die „CDU nach Kohl“ gesprochen, wurden Absetzungs- und Rücktrittsgerüchte über Geißler gehandelt, spekulierten Presse und Delegierte über die aktuellen Kräfteverhältnisse in der Union. Das Bild, das dabei entsteht, ist an vielen Stellen so unscharf und diffus wie das Bild, daß dieser Parteitag insgesamt abgab.

So hat sich trotz der offenkundigen Gereiztheit an der Basis auf dem Parteitag keine Opposition gegen die zum Großteil aus Ministern und dem Kanzler bestehende Parteispitze formiert. Es gab nicht einmal einen Wortführer, der die vor allem gegen die Regierungspolitik immer wieder vorgebrachte Kritik gebündelt hätte. Lothar Späth, immerhin Initiator des „Wirtschaftsstandort„-Abschnittes im Leitantrag und seit seinem Wahlsieg in engerem und guten Kontakt mit Geißler, hat sich nur zweimal kurz ans Rednerpult begeben: Da aufgrund der erheblich länger als geplant dauernden Debatte zur Abtreibung die wirtschaftspolitische Grundsatzdiskussion abgesetzt worden war, konnte er sich nur durch sein entschiedenes Eintreten für den Initiativantrag zur Arbeitsdienstpflicht arbeitsloser Jugendlicher im Redezweikampf mit Bundesarbeitsminister Blüm profilieren.

Die während des Parteitags zahlreich auftretenden Redner aus den CDU-Sozialausschüssen stießen kaum auf positive Resonanz. Sie wurden nicht einmal von Rita Süssmuth oder Norbert Blüm, deren politischen Vorstellungen sie den Rücken stärken wollten, richtig unterstützt. Der Sozialausschuß -Vorsitzende Fink hielt sich auffällig und sicher nicht zur Freude seiner Basis zurück. Die dem „Modernisierer„-Flügel zugerechneten Personen - das bestätigte dieser Parteitag bilden eben keineswegs ein gemeinsam strategisch denkendes und einheitlich handelndes Lager.

Der Einzige, der entschieden Akzente gegen die Selbstzufriedenheit des Kanzlers und Parteivorsitzenden setzte, war Heiner Geißler. Das ist nicht neu, sondern gehört geradezu zum Job des Generalsekretärs. Diesmal allerdings geschah es vor anderem Hintergrund: Geißler hat im Vorfeld des Parteitags erhebliche konzeptionelle Abstriche in der Gewichtung des Parteitags, in der Deutschland- und Sozialpolitik machen müssen. Angesichts der Finanzpolitik der Regierung droht er mit seinen familien und sozialpolitischen Initiativen im Nichts zu landen.

Auch in der Partei hat er in diesem Bereich wenig Rückhalt gefunden: zwar kassierte er nach seiner Rede Dienstag nachmittag erheblichen Applaus, als er aber dafür plädierte, im Sozialbereich nicht stärker zu sparen als beim Rüstungsetat, rührte sich kaum eine Hand. Daß der gesamte Abschnitt „Sozialpolitik“, den Geißler in seinem ursprünglichen Leitantragentwurf noch zu einem Schwerpunkt des Parteitages insgesamt gemacht hatte, dann Dienstag nacht auf die nächste Sitzung des Bundesausschusses vertagt wurde, ist ein überaus deutlicher Ausdruck dieser geschwächten Position.

Nach 11 Jahren als Generalsekretär, so ist aus seiner Umgebung zu hören, beschleicht ihn eine gewisse Amtsmüdigkeit - zumal Kohl selbst offensichtlich keinen allzugroßen Wert auf Geißlers Verbleib als Generalsekretär legt oder ihn sogar weghaben will. Andererseits erscheinen Geißler weder der Ministerpräsidentenposten in Rheinland -Pfalz noch ein Ministeramt in Kohls Kabinett besonders attraktiv. Und der Posten des Fraktionsvorsitzenden in Bonn, der in interessieren würde, steht angesichts der herben Kritik aus der CSU an seiner Politik nicht zur Verfügung. Und noch etwas hindert Geißler daran, den Posten des Generalsekretärs aufzugeben: mit einem schwachen Nachfolger würde die ohnedies stark an die Regierung angebundene Partei völlig unter deren Kuratel geraten - eine Entwicklung, die sie mittelfristig sicher die Regierungsverantwortung kosten würde.

Also versucht der in die Defensive gedrängte, in der Partei aber dennoch beliebte Geißler derzeit das Verhältnis zu Kohl nicht unnötig zu belasten: als am Montag ein Delegierter ungewöhnlich scharfe Kritik am Kanzler übte, begab Geißler sich sofort ans Rednerpult und konterte. Und Montag nacht noch hat der Generalsekretär seine Rede komplett umgeschrieben und dabei Forderungen, die er an die Regierung stellen, und Kritik, die er an der Koalitionspolitik üben wollte, herausgenommen und entschärft. Kohl wird das mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen - er weiß, daß Geißlers Position, trotz eines gewissen parteiinternen Ressentiments gegen das Konrad-Adenauer-Haus, so stark ist, daß der Generalsekretär gegen seinen Willen nicht ausgetauscht werden kann. Schon deshalb nicht, weil die Kritik an Kohls Regierungspolitik - vor allem an der Steuerreform - in der Partei weit verbreiteter ist.

Oliver Tolmein