: Signal mit falschen Tönen
■ Die Freilassung von Klaus Jünschke nach 16 Jahren Haft war lange überfällig / Von Felix Kurz
Als „obszön“ empfindet Klaus Jünschke die propagandistische Auswertung seiner Begnadigung durch den rheinland -pfälzischen Ministerpräsidenten Vogel. Es könne doch im ernst niemand glauben, daß Mitglieder oder Sympathisanten der RAF eine Freilassung nach 16 Jahren als Signal verstehen, wenn gleichzeitig andere Gefangene weiterhin unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt sind und die Abschaffung der Isolationshaft noch nicht einmal in der Diskussion ist.
Es war kurz nach acht Uhr am letzten Donnerstag, als der Heidelberger Rechtsanwalt Wolfgang Stather seinen Mandanten telefonisch im Freigängerhaus des Knastes in Diez erreichte. Die gute Nachricht, die er ihm übermitteln wollte, mußte jedoch noch warten. Schuld daran war die kleine aber feine Schikane, die der rheinland-pfälzische Strafvollzug auch für den Menschen bereithält, der rund zwei Stunden später die Justizvollzugsanstalt als freier Mann verlassen wird. Klaus Jünschke mußte auf eigene Kosten von einem Münzfernsprecher zurückrufen.
Zur gleichen Zeit, als Klaus Jünschke in seinen Taschen nach dem nötigen Münzgeld kramte, saß in der Mainzer Staatskanzlei der Anstaltsleiter der JVA Diez. Es ging um die gleiche Sache, die längst überfällige Begnadigung des 40jährigen Häftlings Klaus Jünschke, der seit dem 8. Juli 1972 im Knast saß. Er sollte die Urkunde persönlich dem „prominenten“ Gefangenen überbringen, ihm mitteilen, daß er ab dem 30. September 1988 begnadigt sei, ihm aber ab sofort Haftverschonung gewährt werde. Wann genau jedoch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) seine Unterschrift unter die Begnadigungsurkunde setzen würde, wußte der liberale Justizminister Peter Caesar (FDP) am Abend zuvor noch nicht.
Dennoch, ein paar Journalisten waren längst informiert. Der Countdown einer gut inszenierten Pressekampagne, die die Begleitmusik zur erstmaligen Freilassung eines zu einer lebenslangen Freiheitstrafe verurteilten ehemaligen RAF -Mitgliedes abgeben sollte, lief.
Das gelang dann auch trefflich. In Hörfunk und Fernsehen überboten sich die Mainzer Koalitionäre Vogel und Caesar als Zeichensetzer und Signalgeber an die RAF. Christoph-Michael Adam, zu Zeiten, als Helmut Kohl noch in der rheinland -pfälzischen Staatskanzlei hauste, dessen Pressesprecher und heute hochdotierter Südwestfunk-Redakteur, bekam es angesichts solcher Zeichen in der Sendung 'Transparente‘ mit der Angst zu tun: „Kann der Herr Jünschke bei uns jetzt Lehrer werden?“ Justizminister Peter Caesar winkte ab. Der Journalist mit dem „gesunden Volksempfinden“ bohrte nach. „Hatte die Landesregierung Kontakt mit den Angehörigen des ermordeten Polizisten?“ Nein.
Als ob man die auch noch, 16 Jahre danach, um ihre Stellungnahme zu einer Begnadigung von Klaus Jünschke befragen müsse, zumal Jünschke gar nicht der Schütze war. Schlimm genug, daß es der für die Strafvollstreckung zuständige Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz noch am 21. September 1987 abgelehnt hatte, auch nach 15 Jahren Haft, davon sieben Jahre in totaler Isolation in Zweibrücken, den Rest der Strafe zur Bewährung auszusetzen. Die „besondere schwere Schuld“, die Klaus Jünschke auf sich geladen habe, „gebiete“ die weitere Vollziehung der lebenslangen Freiheitsstrafe, hieß es in dem ablehnenden Beschluß des 1. Strafsenats des OLG. An anderer Stelle führte das Gericht aus. „Die Aussetzung des Strafrestes schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde nach Auffassung des Senats nicht nur einem gerechten Schuldausgleich zuwiderlaufen, sondern wäre zudem mit dem Gedanken der Generalprävention nicht zu vereinbaren.
„Eine krasse Fehlentscheidung“, meint Wolfgang Stather, und konsequenterweise legte man Verfassungsbeschwerde gegen den OLG-Beschluß ein. Der Hamburger Rechtsanwalt Johann Schwenn rügte insbesondere einen Verstoß gegen das Willkürverbot, das Koblenzer Gericht würde „schlankweg“ das Gesetz korrigieren, sich Gesetzgeberfunktion anmaßen. Das sah man wohl auch beim Bundesverfassungsgericht so. Nach Informationen der taz gab es an die Adresse der Landesregierung die entsprechenden Signale.
Davon hörte man auf dem von Justizminister Peter Caesar eilends einberufenen Pressegespräch selbstverständlich nichts. Die Gründe der gnadenweisen Entlassung seien „unter anderem die lange Haftzeit“ (Vogel), Vollzugslockerungen, die nicht mißbraucht worden seien, und eine günstige kriminelle Prognose. Justizminister Caesar sieht in Klaus Jünschke inzwischen einen „engagierten Vorkämpfer gegen den Terrorismus“.
In seinem Fall wolle man zeigen, daß sich der „Weg der Umkehr lohnt“, so Caesar, daß der „Staat keinen ausgrenze“ (Vogel). Zugleich sei seine Entscheidung, sagte Vogel, „auch als ein Signal an das Umfeld der RAF-Täter zu begreifen, endlich ihre terroristischen Aktivitäten zu beenden und zur Gewaltlosigkeit zurückzukehren“.
Die Zeiten der Signale gab es zu einem früheren Zeitpunkt, als es nämlich darum ging, den schon seit einigen Jahren bei der RAF ausgestiegenen Gefangenen von dem menschenverachtenden Strafvollzug zu verschonen. Wie wenig Interesse der Staat daran hatte, machen gleich mehrere Beispiele deutlich. Noch vor anderthalb Jahren konnte Wolfgang Stather seinen Mandanten nur hinter der Trennscheibe sehen. Jedesmal mußte der Rechtsanwalt sich von den Bediensteten zuvor peinlich genau durchsuchen lassen, Hände an die Wand und die Maschinenpistole im Rücken.
Wolfgang Stather sieht in der jetzt erfolgten Begnadigung die „allerletzte Chance von Vogel“, noch vor den Gerichten etwas im Fall Jünschke zu tun. Für Vogel war es allerhöchste Zeit. Im Herbst hätte sich die Strafvollstreckungskammer in Diez erneut mit der Frage der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung befassen müssen. Gleichzeitig läuft seit dem 16. März 1988 ein Antrag von Klaus Jünschke auf Haftunterbrechung aus humanitären Gründen. Sein Vater hatte Anfang Dezember 1987 einen Schlaganfall erlitten und wird seitdem in einem Heim passiv verwaltet. Die dringende Pflege und Hilfe kann ihm allein Klaus Jünschke geben. Haftunterbrechungen aus dringenden familiären Gründen sind keine Seltenheit.
Immerhin führte dieser Antrag dazu, daß man ihm schon jetzt Haftverschonung gewährt. Zudem verhinderte man mit dieser Begründung justizinterne Kritik. Doch „ein Zeichen wird damit überhaupt nicht gesetzt“, meint Wolfgang Stather. Und recht bitter fügt er hinzu: „Sie haben ihn schäbig behandelt.“
Klaus Jünschke hatte sich gewünscht, daß er gemeinsam mit Manfred Grashof, derzeit im offenen Vollzug in Berlin, entlassen werde. Manfred Grashof ist fünf Monate länger als Jünschke inhaftiert und auch ihn hätte die rheinland -pfälzische Landesregierung begnadigen können, „müssen“, sagt Klaus Jünschke. Doch weil Manfred Grashof neben Lebenslänglich auch noch zu einer zeitigen Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt worden war, könne man aus „Gleichheitsgrundsätzen“ nicht auch ihn sofort entlassen, so Justizminister Peter Caesar. Das werde aber zu einem „geeigneten Zeitpunkt“ erfolgen. Einen Termin wollte Caesar nicht nennen.
Doch es gibt auch noch andere Gefangene der frühen RAF, die heute nach wie vor seit mehr als einem Jahrzehnt unter wahnwitzigen und unmenschlichen Bedingungen eingekerkert sind. Zu ihnen zählt Irmgard Möller, die gemeinsam mit Klaus Jünschke vor knapp 16 Jahren verhaftet worden war. Sechzehn Jahre, in denen sich lediglich totale Einzelisolation mit der Kleinstgruppenisolation abwechselten, gesteuert von einer rachsüchtigen Bundesanwaltschaft, die vor allem deshalb so ungeniert und ungehemmt ihre Gegner quälen kann, weil die „Politiker in der BRD feige sind“ (Jünschke).
Über seine Erfahrungen mit der RAF und in dem Knast hat Klaus Jünschke ein Buch geschrieben. Es wird voraussichtlich im August dieses Jahres in Verlag Neue Kritik erscheinen.
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