Quadratisch? Praktisch!

■ Aus der Reihe: Einzureißende Neubauten (II.)

Warum hat sich eigentlich bis heute noch keiner gefunden, der die kläglichen Reste der „Mythos Berlin„-Ausstellung beseitigt? Ach so, der Platz des ehemaligen Anhalter Bahnhofs ist ohnehin derart versaut, daß das bißchen Müll nicht weiter ins Gewicht fällt. Ist gar daran gedacht, den ganzen Krempel - sollte Lummers Lieblingskind, der Sportpalast, dort entstehen - mit ins Bauwerk zu integrieren?

Nähern wir uns dem Askanischen Platz noch mal anders, besser: sehen wir ihn uns von ganz weit weg aus an. Manch Unkundiger - aber auch schon Eingebürgerte fallen drauf 'rein - verflucht den hinter dem Postscheckamt sichtbaren grauen Kasten, den er stilistisch wie örtlich dem Realexistierenden jenseits der Mauer zuordnet. Der kundige Verfechter des Vorpostens der Freiheit aber versichert verschämt: „DET IS UNSA.“

Kaum zu glauben, Hauptstadt-Niveau im weltoffenen Westen. „Saskatchewan“ steht oben dran, und daran kann man es erkennen, das „Exelsior-Haus“. Mußte man den zur Sparsamkeit verpflichteten Ost-Architekten denn so nah an der Mauer beweisen, daß es im Westen noch billiger, noch langweiliger und noch grauer geht? Das kommt davon, wenn man immer und überall übertrumpfen will. Wäre dieser umbaute Hohlkörper (ähem, na, ja. ein nicht umbauter hohlkörper wäre dann? nein. kann nicht sein. jetzt wird's mystisch. sezza) neueren Datums, der Verdacht, daß der Planer keine Zeit hatte, sich mit seinen Grafic-Computer vertraut zu machen, läge nahe. Figur 1 im System war das Quadrat, das hat er fix kapiert, und wer ein Quadrat kann, der kann auch viele Quadrate.

Er setzt sie nebeneinander und übereinander, und es entsteht - Wahnsinn: ein Rechteck, obwohl das Rechteck doch noch gar nicht dran war, im User-Manual. Das schlägt er jetzt schnell nach - ah, so geht das -, legt damit drei Grundrisse fest, beschließt, die Quadrathaufen darüber verschieden hoch zu türmen, und die ganze Sache steht. Der Konstrukteur ist begeistert, also so einfach, alle Teile gleich, und es ergibt sich auf ein Neues die unheilige Allianz zwischen vermeintlicher Bauhaus-Ästhetik (Quadrat, Rechteck, ist doch Bauhaus, gell!) und wirtschaftlicher Pfennigfuchserei.

Wenn Glaube Berge versetzen kann, dann kann Denken vielleicht Beton zerbröseln. Wie sähe der Askanische Platz ohne diesen Blickbegrenzer aus? Mir scheint, auch wenn andere Sünden unübersehbar bleiben, es wäre möglich, so etwas wie Stadtplatzcharakter wiederherzustellen. Es bedürfte nicht eines dritten, liegenden Sportpalast -Monstrums, um die beängstigende Leere, die sich zwischen Postturm und Exelsior-Wand auftut, zu füllen.

Aber wer denkt in dieser Gegend schon an Stadt? Vom Kulturforum bis zum Moritzplatz erstreckt sich die zentrale Berliner Vorstadt, und auch die IBA hat hier kaum anderes vermocht, als neue Vorstadtstraßenzüge dazwischen zu setzen.

Jürgen Witte