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Richterprotest war Dienstvergehen

■ Zeitungs-Anzeige von 35 Richtern und Staatsanwälten durfte disziplinarisch geahndet werden, entschied das Bundesverfassungsgericht / Protest gefährde Vertrauen in die „innere Unabhängigkeit“ der Richter

Karlsruhe/Kiel (dpa) - Der öffentliche Protest von 35 Lübecker Richtern und Staatsanwälten gegen die Stationierung von Pershing-Raketen in der Bundesrepublik war ein Dienstvergehen und durfte disziplinarisch geahndet werden. Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Beschwerden eines Richters und eines Staatsanwalts zurückgewiesen. Sie waren 1983 zusammen mit ihren Kollegen vom damaligen schleswig-holsteinischen Justizminister Henning Schwarz (CDU) ermahnt worden, nachdem sie in einer Tageszeitung gegen die geplante Stationierung protestiert hatten.

Die 3.Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts bestätigte damit zugleich eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das die Zeitungsanzeige ebenfalls als Dienstpflichtverletzung angesehen hatte (Aktenzeichen: 2 BvR 111/88 Beschluß vom 6.Juni 1988).

Nach Auffassung der Karlsruher Richter dürfen sich Beamte in der Öffentlichkeit nur so zurückhaltend äußern, daß das „öffentliche Vertrauen in seine unparteiische, gerechte und gemeinwohlorientierte Amtsführung keinen Schaden nimmt“. Ihre politischen Meinungsäußerungen dürften nicht Formen annehmen, die „den Eindruck entstehen lassen könnten, der Beamte werde bei seiner Amtsführung nicht loyal gegenüber seinem Dienstherrn“ und nicht neutral gegenüber jedermann sein.

Entsprechende Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit gelten nach dieser Entscheidung auch für Richter. Die Überzeugungskraft richterlicher Entscheidungen beruhe nicht nur auf der juristischen Qualität ihrer Gründe. Sie stütze sich „in hohem Maße“ auch auf das Vertrauen, das den Richtern von der Bevölkerung entgegengebracht werde. Das Vertrauen gründe sich auch auf die „äußere und innere Unabhängigkeit“ des Richters, seiner Neutralität und erkennbaren Distanz, die „auch in aktuellen politischen Auseinandersetzungen spürbar“ bleiben müsse.

Die Verfassungsbeschwerden des Richters und des Staatsanwalts wurden gar nicht erst zur Entscheidung angenommen, weil sie nach Auffassung der Richter keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatten.

Der neue schleswig-holsteinische Justizminister, Klaus Klingner (SPD), hat die Ermahnungen seines Amtsvorgängers inzwischen zurückgezogen. „Ein Beharren auf Rechtspositionen in dieser Frage dient nicht dem Interesse der Justiz unseres Landes“, hatte er vorige Woche im Regierungspressedienst in Kiel geschrieben.

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