: Schuld und Schulden
Eine Exegese von Urs Müller-Plantenberg (Lateinamerika -Institut der FU Berlin) auf dem GKKE-Symposium ■ S T A T E M E N T
In dieser Diskussion über die Haltung der Kirchen möchte ich auf Ethik und Seelsorge als die eigentlichen Aufgaben der Kirchen eingehen.
Herr Bischof Dr.Kruse hat das Vaterunser in dieses Gespräch eingebracht. Dort heißt es nach der heute gängigen Übersetzung: „Und vergib uns unsere Schulden , wie wir unseren Schuldigern vergeben haben.“ Experten haben mir gleich bedeutet, daß hier nur moralische Schulden gemeint seien.
Nun habe ich aber im griechischen Original und in Wörterbüchern nachgeschlagen und gefunden, daß das Original ganz eindeutig ist (Matthäus 6, Vers 12). Das Wort opheilemata dort bedeutet eindeutig Geldschulen (im Gegensatz zu moralischen Schulden), und aphiemi bedeutet gänzlich erlassen (im Gegensatz zu aniemi teilweise erlassen). Die korrekte Übersetzung müßte also lauten: „Und erlaß uns jetzt gänzlich unsere Schulden, wie wir unseren Schuldnern ihre gänzlich erlassen haben.“
Und genau so lesen sich auch die Übersetzungen in andere Sprachen. In einer englischen Bibel von 1984 finde ich: „Forgive us our debts, as we also have forgiven our debtors.“ Und in einer spanisch-sprachigen Bibel von 1965 lese ich: „Y perdonanos nuestras deudas como ya nosotros perdonamos a nuestros dendores.“
In diesen Übersetzungen ist ganz deutlich: Bedingung dafür, daß ich den Erlaß der eigenen Schulden von Gott erbitten kann, ist, daß ich meinen Schuldnern ihre Schulden gänzlich erlassen habe.
Was aber tun die Kirchen? Heute wird in ganz Lateinamerika das Vaterunser in spanischer oder portugiesischer Sprache völlig anders gebetet als in der katholischen und evangelischen Kirche. Jetzt heißt es dort: „Y perdonanos nuestras ofensas como nosotros perdonamos a los que nos ofenden.“ Zu deutsch: „Und vergib uns unsere Kränkungen, wie wir denen vergeben, die uns kränken.“
Ausgerechnet in einer Zeit, in der der Erlaß von Schulden für die Lateinamerikaner zu einer dramatischen Notwendigkeit geworden ist, verschwindet er auf Beschluß der Kirchen aus ihrem täglichen Gebet. Warum begnügen sich die Kirchen nicht damit, ihre Heilige Schrift nach ihren Bedürfnissen umzuinterpretieren? Warum greifen sie auch noch zu falschen Übersetzungen?
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