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Gasgranaten zum Lenne-Jubiläum

Am einmonatigen Besetzungsjubiläum des Berliner Lenne-Dreiecks kam es wiederholt zu brutalem Polizeieinsatz / Solidaritätsdemonstration am Ku'damm / Hamburg meldet Bauplatzbesetzung  ■  Von Th. Langhoff/Kai Fabig

Berlin/Hamburg (taz) - Pünktlich zum einmonatigen Jubiläum der Besetzung des Norbert Kubat-(Lenne-)Dreiecks in Berlin setzte die Polizei wieder Wasserwerfer und Tränengas ein.

Nachdem die Besetzer am Freitag abend gegen 22 Uhr den Gitterzaun demontierten und Steine warfen, antwortete die Polizei mit einem über zweistündigen Wasserwerfereinsatz. Ein Polizist mußte mit einer Schädelverletzung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ein Besetzer wurde wegen einer Platzwunde am Kopf genäht, ein anderer erlitt einen Asthma-Anfall.

Augenzeugen berichteten, daß auch Polizisten Steine geworfen haben. Die Polizisten schleuderten gezielt die Gasgranaten auf die Gesichter der Besetzer, so eine Sanitäterin, die selbst gezielt beworfen wurde. Zum ersten Mal wurden auch „springende Derwische“ eingesetzt Gaskartuschen, die nicht auf dem Boden liegenbleiben, sondern wie Knallfrösche hüpfen. Die Schaulustigen, die sich um das Lager versammelten, machten aus ihrer Sympathie für die Besetzer keinen Hehl: „Aufhören, aufhören“, forderten sie wiederholt. Andere halfen den Lenne-Besetzern bei der Demontage des Zaunes.

Den Auseinandersetzungen vorausgegangen war am Freitag abend eine friedliche Demonstration von etwa 1.000 Menschen auf dem Berliner Kurfüstendamm. Ein vor dieser Demonstration verhafteter Teilnehmer ist mittlerweile wieder frei. Ein Nachbar der Besetzer wandte sich am Samstag in einem „Hilferuf“ an Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und den Regierenden Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen. Die Polizei würde durch „völlig überflüssige und überzogene Maßnahmen“ die Eskalation vorantreiben.

Platzbesetzung in Hamburg

Holzhütten und Zelte finden sich jetzt auch im Hamburger Stadtteil Schanzenviertel. Seit Sonnabend dienen diese improvisierten Unterkünfte etwa 200 Bauplatzbesetzern als Schlafplatz. Hintergrund der Aktion sind die Pläne des Musical-Papstes Fritz Kurz, in diesem Stadtteil, dessen Atmosphäre durch Szene, Ausländer und alte Menschen geprägt wird, eine „Musical-Abspielstätte“ für 2.000 Besucher zu bauen. Dafür mußte das Gebäude eines altehrwürdigen Variete -Theaters, das zuletzt ein Kaufhaus beherbergt hatte, bis auf die Fassade weichen.

Für Kurz rollte die Stadt einen roten Teppich aus. Wegen des „standortpolitisch kulturellen Impulses“ wurden mehrere Ausnahmen vom Bebauungsplan erteilt: Die Musical-Fabrik soll hinter der Fassade 27 Meter hoch aufragen, die Anzahl der nachzuweisenden Parkplätze wurde halbiert sowie stadtplanerische und verkehrspolitische Erwägungen außer acht gelassen.

Den Bauplatzbesetzern geht es allerdings weniger um Parkplätze oder Gebäudehöhen, sondern um die drohenden Veränderungen ihres Stadtteils. Im Zusammenhang mit anstehenden Sanierungsmaßnahmen sowie dem Wegzug gewerblicher Betriebe befürchten sie eine völlige Umstrukturierung ihres Stadtteils. An deren Ende stehe die Vertreibung jener Bevölkerungsteile, die jetzt den Stadtteil prägen. Um nicht als „cityuntypische Bewohner“ verdrängt zu werden, wehrt sich die Szene seit Monaten gegen das Projekt, dem eine gewisse Symbolrolle bei der Umstrukturierung des Viertels zukommt. Gerüchte über eine bevorstehende Räumung schwirrten bereits gestern Nachmittag über den bunten Platz.

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