Wenn die Grünen Kröten schlucken

■ Christine Bernbacher ist seit drei Monaten im Bundesvorstand der Grünen permanenten Rotation / Aus Westerland nach Bonn zum Perspektiven-Kongreß zum Friedens-Kongreß nach Ost-Berlin / taz-Gespräch

taz: Auf dem Bonner „Perspektiven„-Kongreß der Grünen vor 10 Tagen haben die Hamburger Fundi-Köpfe Trampert und Ebermann einen Text verteilt, nach dem die Grünen hart vor einer Spaltung stehen, Realos und Fundis gehen unvereinbare Wege.

Christine Bernbacher: Da ist unheimlich viel Papier verteilt worden. Der Perspektiven-Kongreß hat dies Gerede von der Spaltung eingedämmt. Es hat sich gezeigt, daß in allen Kongreß-Foren zwar hart gestritten worden ist, aber nicht auf diese miese Art. Die Leute aus den Landes- und Kreis

verbänden halten den programmatischen Streit nicht für so gravierend, daß eine Spaltung bevorsteht. Wir haben uns zu vertragen. Die Realos haben übrigens aus ihren Reihen auch eins auf den Deckel gekriegt: Auch realpolitisch orientierte Grüne haben erklärt, daß sie diese Überspitzung nicht wollen. Dieser zwei Flügel bedarf es, aber man darf sich nicht politikunfähig machen.

Du verstehst Dich selber auch als realpolitisch orientiert. Welche programmatischen Korrekturen halten die Realos für notwendig?

Bernbacher: Die Realpolitiker meinen, daß wir uns mit dem Beharren auf fundamentalen Forderungen - ohne die Politik der machbaren Schritte - ins Abseits manövrieren, wie die letzten Wahlen gezeigt haben. Wir brauchen Erfolge in der täglichen ökologischen Politik, und da muß man manchmal ein paar Kröten schlucken...

Was ist eine Kröte?

Bernbacher: Eine Kröte ist, wenn ich nicht sage: „Sofortiger Ausstieg aus der Nato“, sondern wenn ich sage: „Auflösung der Militärblöcke“, und: „Austritt aus der Nato im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung“. Ich würde auch lieber heute als morgen aus der Nato raus, aber diese Forderung würde viele Bürger verschrecken, die sagen, da entsteht ein Vakuum. Wir müssen die machbaren

Schritte suchen.

Viele Grüne verstehen sich als Opposition. Als Kampagnen -Thema würde „Sofortiger Austritt aus der Nato“ reichen...

Bernbacher: Es nützt doch nichts, wenn ich Maximalforderungen aufstelle, aber die Stimmenzahl, die ich brauche, um mitzugestalten, nie erreiche. Darum müssen wir, und das sagen auch Leute wie Joschka Fischer, mehr Menschen motivieren, damit wir vielleicht wirklich mal wieder in Ländern nötig sind, um eine Regierung zu bilden. Anders werden wir immer nur der Seismograph sein und es ändert sich nichts.

Die Partei kann ganz rigoros sagen, wir sind für den sofortigen Ausstieg, natürlich...

... aus der Atomenergie?

Bernbacher: ... ja, aber wenn dann ein Landespolitiker erst einmal nur Alkem/Nukem verbieten

will, dann darf die Parteispitze nicht sagen, das ist ein Verräter. Natürlich muß die Partei Perspektiven entwickeln, die Parlamentarier bis in die Kommunalparlamente haben sich aber mit den täglichen grünen Politik zu beschäftigen und müssen sich da eher begnügen. Das Verratsgeschrei von beiden Seiten, das muß aufhören. Es sind zwei Aufgaben, die man da hat. Der Mahner in der Wüste, der nutzt sich auch ab. Eine Partei muß dem Bürger vermitteln, daß sie durch ihren Protest auch etwas geben kann.

Du warst an der Nordssee - habt ihr das da gemacht?

Bernbacher: Ja. Das war eine hervorragende Sache. Wir sind mit 22 Mitgliedern der Bundestagsfraktion nach Westerland gefahren, auch zwei Wissenschaftler. Die Inselgrünen und auch Kurgäste haben uns am Bahnhof empfangen, und wir haben Flugblätter in den Straßen verteilt. Die meisten wurden uns aus der Hand gerissen. Das Kurhaus war bis auf den letzten Platz besetzt, als wir da ankamen und auf die Fragen der Bevölkerung antworten mußten. Da hat sich ein zweieinhalb stündiger Dialog entwickelt. Und die Badegäste haben auch sehr klug die Sorge des Bürgermeisters ausgenutzt und gesagt: Wenn ihr nicht politischen Druck macht, dann kommen wir nicht mehr.

Wenn sich Grüne politischen Themen zuwenden, daß da unser ganzer anderer Mist gar keine Rolle spielt. Die Atmosphäre war auf der Rückfahrt fast so ein bißchen wie in alten Zeiten. Von da bin ich direkt zum Perspektiven-Kongreß gefahren.

Und vom Perspektiven-Kongreß nach Ostberlin zum weltweiten Kongreß gegen Atomwaffen. Habt ihr nicht alle Einreiseverbot, weil ihr auch falsche Freunde in der DDR besucht?

Bernbacher: Nicht alle, und nur immer mal wieder. Aber wir sind ja offiziell eingeladen worden. Petra Kelly hat übrigens eine persönliche Einladung von Honecker bekommen. Sie hat bei unserer Pressekonferenz die DDR massiv angegriffen, was ich etwas überzogen fand. Die ist als internationale grüne Friedensfrau mit ih

rem treuen 'adlatus‘ Bastian fast eine Institution des ausgehenden 20. Jahrhunderts...

Nur die Basisinitiativen aus der DDR selber, die waren nicht eingeladen.

Bernbacher: Wohl nur die, die sich konform verhalten. Das habe ich dort auch in einer der Versammlungen gesagt: Ein Staat, der keine Kritik vertragen kann, und wo man Mißstände nicht benennen kann, da gibt es auch keinen Fortschritt.

Du wolltest eigentlich Bürgerschaftsabgeordnete werden, jetzt bist Du im Bundesvorstand der Partei. Ist das eine genauso befriedigende politische Arbeit?

Bernbacher: Ich bin mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt worden, weil ich in meiner Kadidaten-Vorstellung auf integratives Wirken hingewiesen habe. Aber ich habe festgestellt, daß das sehr schwer ist. Ich gehöre zu einer Minderheit im Bundesvorstand, und man hat mich recht gedämpft freundlich empfangen. Wir wurden aber nicht mit politischen Themen konfrontiert, sondern das erste waren diese fürchterlichen Frankfurter Geschichten...

Geldgeschichten...

... ich habe mehrmals Anträge gestellt, daß das von einer unabhängigen Kommission geprüft wird. Da habe ich mich nicht beliebt gemacht. Ich bin nicht zimperlich im Einstecken und auch nicht im Austeilen. Aber es war nicht ganz einfach, die letzten Wochen. Ich kam mit einem friedlichen Gefühl dahin und bin schnell in meine alte Rolle als knatternde Fregatte gedrängt worden. Ich werde das jetzt weitermachen. Ich bin denen natürlich ein sehr unbequemer Partner.

Spaß macht es, wenn man die Tür in Bonn hinter sich zumachen kann und nach Westerland oder Ostberlin fährt?

Bernbacher: Ja, aber ich fahre auch gern nach Bonn, ich habe mich ja sonst auch durchgesetzt. Ich weiß, daß ich da einen Flügel der Partei vertrete. Natürlich habe ich auch meinen eigenen Kopf zum Denken, aber oft decken sich natürlich die Realo-Potsitionen mit meinen. Und das ist das ist jetzt schon ein Verhältnis spitz auf Knopf.

Fragen: K.W.