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Wässrig weiblich ungewogen

■ Orthopäde braucht zwar keine Waage zur Taxierung „weiblicher Wesen“, dekoratives Rumstehen schützt aber nicht vor Eichpflichten / 300 Mark Ordnungsgeld

Das kleine Wörtchen „bei“ kostet einen Bremer Arzt 300 Mark. Ordnungswidrig verhält sich nämlich, wer „bei der Ausübung eines Heilberufes“ ein ungeeichtes Meßinstrument nutzt oder in einer Weise „vorhält, die zu seinem Einsatz keine größeren Vorbereitungen erfordert“.

Völlig unstrittiger Weise hat der 51jährige Bremer Orthopäde Carl Christian B. seit 1975 eine sogenannte „Laufgewichtswaage“ in seiner Praxis „vorgehalten“ und dem Eichamt gleichzeitig vorenthalten. Im November letzten Jahr kamen Eichamtsleiter, Eichamtshauptsekretäre und Eichamtmänner der illegal aufgestellten Waage durch den telefonischen Hinweis eines Patienten auf die Spur und rückten dem Orthopäden - bewaffnet mit 80 Kilo Eichgewichten - auf die Bude seiner 600-Quadratmeter-Praxis, um dort eine schreckliche Entdeckung zu machen: Seit 1979 hatte kein amtliches Eichgewicht mehr auf der Gummimatte des eichpflichtigen Meßinstruments gestanden. Mit der fälligen Belehrung über seine Eichpflichten landeten die Eichhauptsekretäre bei Dr. B. aber an der falschen Adresse: „Für die Beschäftigung fauler ABM-Kräfte fühle er sich nun wirklich nicht zuständig“ und die „Auslastung unterbeschäftigter Behörden durch schikanöse Geldschneidereien“ sei nun wirklich nicht seine Sache, verwies der Doktor die verdatterten Be

amten des Hauses. Gegen den postwendend zugeschickten Bußgeldbescheid über 500 Mark wegen „fortgesetzten und vorsätzlichen Verstoßes gegen das Eichgesetz“ legte B. Widerspruch ein.

Dem Bremer Richter, Klaus Richter, versuchte der heilberufene Waagen-Vorhalter gestern wortreich aber vergebens klar zu machen, daß er die Waage keinesfalls zur Ausübung seines Heilberufes verwandt habe. Denn: Erstens komme es bei seinen Diagnosen ohnehin nicht auf absolute Kilogramm-Zahlen sondern allenfalls auf die individuelle Relation von Körpergröße, Muskelmasse und Fettpolstern an: „Ich muß nicht wissen, wieviel jemand wiegt, sondern allenfalls ob er zu dick ist.“ Und: Ob er „stabile Frauen, gut durchwachsen“ oder „wässrig weibliche Wesen“ vor sich habe, könne er allemal per Augenschein beurteilen, verriet der Orthodpäde einen Kennerblick, der jedem Metzger zur Standesehre gereichen würde.

Die Waage habe deshalb zweitens auch gar nicht aus medizinisch-diagnostischen, sondern aus privat-sentimentalen Grün

den in einem seiner Sprechzimmer herumgestanden. Privat, weil allenfalls seine Putzfrau und er selbst sie dann und wann bestiegen („Immer wenn ich meinen Rappel kriege und glaube, abnehmen zu müssen“). Sentimental, weil er die Praxis von seinem Vater übernommen habe und schon zu dessen seligen Zeiten eine Waage im Sprechzimmer gestanden habe, um den Patienten ein bißchen medizinisch-dekoratives „Tam-Tam“ zu bieten.

Tam-Tam hin, Pa-Pa her: Richter Richter wars letzlich Wurst, denn: „Selbst unsinnige gesetzliche Regelungen müssen eingehalten werden, zumindest bis eine neues Parlament sie entweder ändert oder abschafft“ und im bislang ungeänderten Eichgesetz ist nunmal nicht die Vorhaltung von Laufgweichtswaagen „zur Ausübung eines Heilberufes geregelt, sondern die Waagen-Vorhaltung beim Ausüben eines Heilberufes. Und ergo muß, solange Dr. B. in Gegenwart seiner Waage heilt, dieselbe geeicht sein. Macht mit mildernden Umständen 300 Mark.

Klaus Schloesser

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