Falsche Adresse

■ Hinweise für Frauen, die sich zum ersten Mal auf ein Männerklo verirren

„Oh, das tut mir leid, da hab ich mich wohl versehen!“ Die Frau hat sich schon längst wieder durch die Tür zurückgezogen, und noch immer hallt ihre Stimme in der gefliesten Kärglichkeit der Herrentoilette. Einige Männer sehen betreten zu ihrem Brust-Bauch-und-das-auch hinab, andere versuchen ihre gekränkte Eitelkeit durch Kichern oder gebrummte Unmutsäußerungen zu überspielen. Eine der letzten, nur den Männern vorbehaltene Tätigkeit, das Hereinplatzen in die Toiletten des anderen Geschlechts, wird Zug um Zug von der Damenwelt okkupiert. Es scheint an der Zeit, den Frauen einiges Grundsätzliches auf ihren Weg ins Männerklo mitzugeben. Das männliche Ego ist, besonders wenn der Mann sich gerade mit einem Körperteil befaßt, von dem er glaubt, ein Großteil seines Selbstbewußtseins zu beziehen, nur allzu zerbrechlich.

Die forscheren unter den Frauen schießen zur Tür herein und streben sofort, ganz zielsicher den - meist am Ende des Raumes befindlichen - Kabinen zu. Die Kabinen, das sei hier gesagt, werden so gut wie nie benutzt, auch wenn ihr kläglicher Zustand manchmal das Gegenteil vermuten läßt. Wer sich also auf Herrentoiletten ins verschließbare Kabuff zurückzieht, wird sich damit dem Verdacht aussetzen, allzu „g'schamig“ zu sein.

Da die klassische Pißrinne, deren Benutzung der weiblichen Anatomie doch etwas näher kommt als die jetzt üblichen Pißbecken, so gut wie ausgestorben ist, empfiehlt es sich, ein Schreibwerkzeug zur Hand zu haben, um wenigstens einer typischen Toilettenbeschäftigung nachgehen zu können. Das allzu intensive Studium der Werke, die hier von Männern hinterlassen wurden, sollte allerdings unterbleiben. Noch immer glauben viele Männer, auf dem Klo unter sich zu sein, und lassen entsprechend ihre ansonsten gut getarnte Macho -Sau raus.

Was die Geräuschkulisse angeht, werden die Frauen feststellen, daß das starke Geschlecht dazu neigt, schweigend seiner Tätigkeit nachzugehen. Auch beim folgenden Händewaschen legen sie nicht jene plappernde Geschäftigkeit an den Tag, die der Damenwelt zu eigen ist. Kurze, meist witzig gemeinte Bemerkungen, mit denen die Aura des Peinlichen überspielt werden soll, die diesen Ort umgibt, sind allerdings durchaus üblich. Der Platz, der auf dem Herrenklo dem Waschbecken zugemessen wird, ist so beengt, daß selten mehr als eine Person dieses hygienische Angebot wahrnehmen kann. Die Verweildauer vor dem Spiegel ist auf ein Minimum zu beschränken, eine Vorbeugemaßnahme gegen Staubildung, der man sich auch als Frau anpassen sollte, da manche Mit-Glieder ein Stau am Waschbecken dazu verleitet, dieses überhaupt nicht zu benutzen.

Es versteht sich von selbst, daß die Mode, die verschieden -geschlechtlichen Toiletten in Kneipen nicht mehr zu kennzeichnen, nur eine Übergangsmaßnahme sein kann, mit der das Verhältnis der Geschlechter zueinander entkrampft werden soll. Aber sämtliche fortschrittlichen Versuche, nur noch eine gemeinsame Toilette für beide Geschlechter einzuführen, wurden bisher sehr bald vom Gewerbeaufsichtsamt unterbunden.

Jürgen Witte