: Eine Epoche geht ihrem Ende entgegen
360 Millionen Dollar ließen sich die USA 1987 die Bekämpfung des Aufstands kosten. Doch die Guerilla ist heute stärker denn je und das Regime in einer tiefen Krise. Nachdem die rechtsextreme ARENA die Parlamentswahlen gewonnen hat, erhalten im Generalstab nun auch die aggressivsten Militärs neuen Auftrieb ■ Aus San Salvador Ralf Leonhard
Als der salvadorianische Konflikt Anfang der achtziger Jahre mit voller Wucht ausbrach, glaubte man an rasche Lösungen: an einen baldigen Sieg der revolutionären Kräfte nach dem Vorbild Nicaraguas oder eine Direktintervention der USA, die für einige Jahre die Friedhofsruhe wiederherstellen würde. Keines von beiden ist passiert. Im Zwergstaat El Salvador ist der Krieg zum Alltag geworden. An den Ursachen des Konflikts hat sich wenig geändert: Soziale Ungerechtigkeit und Massenverelendung haben eher noch zugenommen, die Produktionskapazität des Landes ist weitgehend zerstört, und die Abhängigkeit von den USA ist von Jahr zu Jahr gewachsen. 1987 hat die Wirtschafts- und Militärhilfe der Reagan -Regierung von 359,2 Millionen Dollar zusammen mit 198,3 Millionen an privaten Geldsendungen von in den USA lebenden SalvadorianerInnen zum ersten Mal das Bruttoinlandsprodukt übertroffen. Würde dieser Geldhahn plötzlich zugedreht, so könnten die Folgen nur „mit dem Effekt von zwölf Atombomben verglichen werden, die auf die Nation niedergehen. Mit anderen Worten: Alles wäre vorbei“. So die Darstellung der Ökonomin Mirna Lievano, die der Privatwirtschaft nahesteht.
Dennoch ist es den USA unter diesen Bedingungen gelungen, in El Salvador vier Wahlprozesse veranstalten zu lassen, um dem Land den Anschein einer entstehenden Demokratie und dem Regime genügend Legitimität nach außen zu verschaffen. Die Guerilla, die den Regierungstruppen als praktisch ebenbürtige Armee gegenübersteht, konnte durch die Taktik des low-intensity-warfare von entscheidenden Schlägen gegen die Städte abgehalten, nicht aber daran gehindert werden, in ihren Einflußzonen bereits ihre eigenen Verwaltungsstrukturen zu errichten. Gleichzeitig sollte die reformistische Wirtschaftspolitik die proletarischen Massen von den Revolutionären weg zur Regierung hin ziehen.
Dieses Modell der Reformen mit Repressionen liegt gleichzeitig mit seinem wichtigsten Vollstrecker in den letzten Zügen. Präsident Napoleon Duarte wird nach einer schweren Krebsoperation aller Voraussicht nach das Ende seiner Amtsperiode im Juni 1989 nicht mehr erleben. Der erbitterte Kampf um die Nachfolge innerhalb der Regierungspartei hat den Christdemokraten den letzten Rest an Glaubwürdigkeit genommen. Die Kronprinzen Fidel Chavez Mena und Julio Adolfo Rey Prendes haben sich beide in getrennten Parteikonventionen von ihren Anhängern zum Kandidaten wählen lassen. Nachdem sich der Generalsekretär und amtierende Präsident Rodolfo Castillo Claramount mit einem Gutteil der Parteiprominenz auf die Seite Chavez Menas geschlagen hat, dürfte die Entscheidung gefallen sein. Castillo macht kein Geheimnis daraus, daß die Position der US-Botschaft ein wichtiges Element für diese Entscheidung gewesen ist. Er bezeichnete sogar die US-Botschaft als das eigentliche Machtzentrum des Landes. Das könne man zwar lästig finden, aber es sei nun mal so in El Salvador.
Der Niedergang der Christdemokraten, die schon in den Wahlen vom 20. März ihre absolute Parlamentsmehrheit an die rechtsextreme ARENA verloren haben, öffnet den Weg für die demokratische Linke, die sich neu zu konstituieren beginnt. Schon im November des Vorjahres kehrten die Chefs der Demokratisch-Revolutionären Front (FDR), Guillermo Ungo und Ruben Zamora, nach El Salvador zurück. Zamora arbeitet seither im Lande. Ihre Parteien, die sozialdemokratische MNR und die linkskatholische MPSC, haben sich mit der kleinen Sozialdemokratischen Partei zur „Demokratischen Konvergenz“ zusammengeschlossen, deren Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen 1989 zwar noch nicht offiziell ist, aber längst beschlossene Sache sein dürfte. Zamora: „Eine Nichtteilnahme würde uns zu einer unbedeutenden politischen Kraft machen“. Eine Teilnahme jedoch bedeutet die Anerkennung der vorgegebenen politischen Spielregeln und kommt de facto einem Bruch ihrer Allianz mit der FMLN -Guerilla gleich. Wenn die erste Runde keine Entscheidung bringt, so könnte der Konvergenz vor der Stichwahl die Rolle des Züngleins an der Waage zukommen. Gibt sie keine Empfehlung ab, dann dürfte ein Sieg der faschistischen ARENA nicht zu verhindern sein.
Die Armeeführung hat die FDR-Chefs gewarnt, daß sie bei einer Verschärfung der Operationen der städtischen Guerillakommandos leicht Opfer von Vergeltungsmaßnahmen werden könnten - es sei denn, sie distanzierten sich rechtzeitig vom bewaffneten Kampf. Während die Kirche die politische Integration der Linksparteien mit Wohlwollen sieht, herrschen bei den sogenannten Volksorganisationen gemischte Gefühle. Die UNTS, als größte Allianz von linken Gewerkschaften, Bauernverbänden und Genossenschaftsföderationen, ist skeptisch. „Die Wahlen bringen keine Lösung“, meint UNTS-Führungsmitglied Julio Portillo. „Wir glauben, daß die Lösung auf dem Zusammengehen aller lebendigen Kräfte aufbauen muß.“ Die UNTS setzt auf Verbreiterung der Basis und versucht, die christdemokratischen Massenorganisationen, namentlich die UNOC (1986 als Reaktion auf die Bildung der UNTS gegründete „Nationale Arbeiter- und Bauernunion“, regierungsfreundlich), zu gewinnen. Denn auch dieser reformistische Sektor hat bereits die verstärkte Repression zu spüren bekommen, nachdem einer seiner Führer ermordet wurde. Dabei kommt es der UNTS nicht ungelegen, daß Mitte Juni ein neues, radikaleres Bündnis von BäuernInnen und ArbeiterInnen namens „Brot, Arbeit und Freiheit“ gegründet wurde. Neben dieser, der FMLN nahestehenden, sehr militanten Organisation erscheint die UNTS gemäßigter.
Nach ihrem Wahlsieg im März ist die Rechte in der Offensive und hat bereits begonnen, die nie wirksam vollzogene Agrarreform rückgängig zu machen. Die Unternehmerverbände fordern die Reprivatisierung der Banken und des Außenhandels. Die Sicherheitskräfte haben noch weniger Skrupel, was die Menschenrechte von Verdächtigen betrifft. Und im Generalstab der Armee steht die Ablösung der „gemäßigteren“ Generäle durch junge, aggressivere Offiziere unmittelbar bevor.
Die FMLN profitiert von der Radikalisierung des Klimas und hofft, im Laufe und vor allem gegen Ende des Jahres ihre militärische Position ausbauen zu können. Auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes in den USA ist die Manövrierfähigkeit Washingtons stark eingeschränkt. Für einen fruchtbringenden Dialog mit der Regierung stehen die Zeichen derzeit so schlecht wie schon lange nicht. Gleichzeitig hat aber die Frustration der verarmten Bevölkerungsschichten zugenommen. Bei 65 Prozent Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, rapide steigenden Grundnahrungsmittelpreisen, zunehmender Unglaubwürdigkeit der Regierung und haarsträubender Willkür des Justizapparats - immer schon ein Sorgenkind der US -Strategen - ist es nurmehr eine Frage der Zeit, bis es zu sozialen Eruptionen kommt. Schon lange legt die Guerilla durch die Arbeit geheimer Zellen in den Städten die Basis für eine neue Qualität des Krieges. Daß die FMLN eine allgemeine Insurrektion provoziert, wie vielfach erwartet wird, ist trotzdem unwahrscheinlich. Zwar hat der Organisationsgrad der verarmten Stadtbevölkerung nach dem Erdbeben vom 10. Oktober 1986 zugenommen, doch überwiegt immer noch bei weitem der individualistische Opportunismus als Überlebensstrategie. Außerdem bedienen sich die Streitkräfte äußerst wirksam ihres Geheimdienstsystems, um FMLN-Agitatoren in den Vororten selektiv zu eliminieren. Eine steigende Dosis präventiver Repression - grausam verstümmelte Opfer aus dem Lumpenproletariat werden demonstrativ in organisierten Vierteln deponiert - sorgt zusätzlich für die nötige Abschreckung. Die städtischen Mittelschichten halten sich lieber aus der Politik heraus und wickeln ihr soziales Leben im Rotary Club und in Sportvereinen ab. Und selbst die StudentInnen waren in ihrer großen Mehrheit noch nie so apolitisch wie heute. Eine gescheiterte Insurrektion würde das gesamte klandestine Netzwerk der FMLN in den Städten preisgeben und Tausende von Opfern fordern. Ein Ende des Konflikts steht noch lange nicht an.
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