: Dunkel, kulturlos und gebeutelt
■ Ein Bildband mit Texten von Hans-Eberhard Happel und Fotografien von Heiko Sandelmann zeichnet Bremerhaven und seine Menschen mit großem Engagement: Eine trostlose Stadt
Aus Texten, Notizen, Interwievs, schon veröffentlichten Artikeln in diversen Zeitungen und Fotos kombinierten der Journalist und Lehrer, Hans-Eberhard Happel und der Fotograf Heiko Sandelmann ein sehr einfühlsames und menschenfreundliches, aber auch einseitiges Portrait der Stadt Bremerhaven und ihrer BewohnerInnen. Die sehr subjektive Themenauswahl läßt großes soziales Engagement vermuten. Es werden sehr persönliche und feinfühlige Einblicke in Menschenschicksale, die diese Stadt auch charakterisieren, gewährt.
Randgruppen, die Ausländerproblematik und andere soziale Probleme sind in Text und Foto sensibel eingefangen. Das spärliche Bremerhavener Night- and Day-Kulturangebot wird aus dem Lehrer/ Sozialarbeiterblickwinkel gesehen und bewertet. Die Themen sowie die Bildauswahl lassen die nördliche Stadt Bremerhaven wie eine düstere, von sozialen Mißständen gebeutelte Großstadt wirken, es ensteht der Eindruck, als würde es nur aus Arbeitersiedlungen bestehen, die sich rund um einen stilvoll vergammelnden Hafen ringen.
Klein-Moskau, wie es hier genannt wird (ein Ausdruck der den Bremerhavenern keineswegs geläufig ist), steht gar für ein Arbeiterviertel, daß sich damals mit „Zusammenhalt und Solidarität“ im passiven Wiederstand gegen das NS-Regime ausgezeichnet hatte. Inzwischen handelt es sich um ein schlichtes Rotlichtviertel. Wie aus gut unterichteter Quelle
(Fishtown-Eingeborene) zu erfahren war, zeigen gerade die Bremerhavener Stadtteile große soziale Unterschiede in bezug auf ihre Bewohner auf. Deshalb wird nicht ganz klar, warum die bürgerlichen Viertel überhaupt nicht berücksichtigt werden. Das Bürgerparkviertel, die Stadtmitte als Einkaufszentrum sind sicher nicht so brisant, solche Zentren gleichen sich in allen Städten; für die Bremerhavener Bevölkerung aber, an die sich dieser Bildband augenscheinlich in erster Linie richtet, sind sie dennoch von großer Bedeutung. Für Fremde, die Bremerhaven nur von der Durchfahrt her kennen, bieten sich zwar interessante Einblicke, eine Charakterisierung Bremerhavens ist dieser Bildband aber nicht.
Tolerante Eiscaffebesitzer und auf Hinterhöfen verschimmelnde Mahnmale gibt es überall, genauso wie Buchläden, die Volkszählungs-Fibeln im Fenster ausstellen. Ein paar Worte zu Bremerhavens Nachkriegsarchitektur, dem Hafen - und, ganz wichtig, zu Bremerhavens Strandpromenade, dem Deich, der einen sehr großen Teil küstenländischen Lebensgefühls (wenn es sowas überhaupt noch gibt) ausmacht, wäre Bremerhaven angemessen und wert gewesen.
Der so typisch oberlehrerhafte Ton: „es wird immer schlimmer“, findet sich auch in den Fotos wieder. Wenn Fishtown tatsächlich so finster wie die Fotos ist, „irgendwie dunkel“, dann mal Gute Nacht. Das angeführte Zitat eines gewissen Thomas trifft
meine Kritik am besten:
„Du romantisierst diese Stadt, das hier ist nicht Liverpool, keine schön anzusehende Verfallsgeschichte. Das Industriemuseum ist nicht so groß wie du denkst. Die Hafenanlagen verrotten nicht. Hier wird eine neue Stadt gebaut.
Kerstin Dreyer
Fishtown ist irgendwie dunkel. Ein Bild- und Fotoband von Hans Happel und Heiko Sandelmann, Bremerhaven. Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft GmbH. 16.80 Mark.
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