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„Das Urteil läßt eine Perspektive zu“

■ Fünf Jahre und neun Monate für Isolde Oechsle-Misfeld, ehemalige Anwältin des „St. Pauli- Killers“ / Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung und Beihilfe zur Tötung

Hamburg (taz) - Der letzte Satz des vorsitzenden Richters war vielleicht einer der wichtigsten für die 41jährige Ex -Anwältin Isolde Oechsle-Misfeld. Die Kammer sehe einem Haftverschonungsantrag der Verteidigung entgegen, formulierte Richter Erich Petersen ganz neutral. Er deutete damit die Möglichkeit an, daß die Bemühung der beiden Verteidiger um eine psychotherapeutische Behandlung der Angeklagten in einer Klinik nicht ohne Erfolg bleiben könnte.

Aber auch ohne diese Chance wird der zweitletzte Satz des Vorsitzenden, direkt an die Angeklagte gerichtet, noch nicht falsch: „Das Urteil läßt Ihnen trotz allem noch eine Perspektive.“

Die Verstrickung von Isolde Oechsle-Misfeld in das Blutbad am 29. Juli 1986 im Hamburger Polizeipräsidium, bei dem ihr damaliger Mandant Werner Pinzner den Staatsanwalt Wolfgang Bistry, Ehefrau Jutta und sich selbst erschoß, soll nach dem Willen des Landgerichts mit fünf Jahren und neun Monaten Freiheitsentzug geahndet werden.

Angeklagt war sie wegen gemeinschaftlichen Mordes an dem Staatsanwalt, versuchten Mordes an zwei Vernehmungsbeamten, Beihilfe zu Tötung auf Verlangen bei Jutta Pinzner, 26fachen Schmuggels von Drogen in Pinzners Zelle und unerlaubten Waffenbesitzes. Das Gericht strich diese rachsüchtige Auflistung der Staatsanwaltschaft deutlich zusammen: Es erkannte die Angeklagte am Donerstag „nur“ der fahrlässigen Tötung im Falle Bistry, der Beihilfe zur Tötung im Falle Jutta Pinzner und des Verstoßes gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz - letzteres in zwei Fällen - für schuldig.

Außerdem verhängte die Kammer ein fünfjähriges Berufsverbot gegen die ehemalige Strafverteidigerin, weil sie „ihre Stellung mißbraucht“ und „ihre Pflichten erheblich verletzt“ habe. „Ein schmaler Grat“ nur, so ließ Richter Petersen gleichzeitig erkennen, habe Frau Oechsle-Misfeld von einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord getrennt: „Sie haben für den Tod Wolfgang Bistrys eine Reihe von Ursachen gesetzt, beginnend mit der Beschaffung der Tatwaffe bis zur Begleitung Jutta Pinzners ins Polizeipräsidium (...). Sie sahen die Gefahr, daß Werner Pinzner während der Vernehmung auch Beamte töten könnte, Sie vertrauten dennoch auf einen guten Ausgang. Wir bewegen uns hier im Grenzbereich des bedingten Vorsatzes.“ Die Motive dafür siedelte das Schöffengericht in einer in der neurotischen Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten begründeten „Verstrickung“ an. Ihr Bestreben sei es gewesen, den Eheleuten Pinzner bis zu deren Tod zu helfen, „vor allem Jutta Pinzner, die in einer erbärmlichen Verfassung war und von Werner Pinzner völlig unangemessen behandelt wurde.“

Deutlich distanzierte sich das Gericht damit von der Theorie der Staatsanwaltschaft, Pinzners Anwältin habe kaltblütig und in Erwartung satter Pressehonorare aus purer Geldgier gehandelt.

Dieses Motiv sei nirgendwo festzumachen, so der Vorsitzende, denn bei den entsprechenden Tagebuch -Eintragungen Werner Pinzners, „eines Mannes, der für Geld Menschen umgebracht hat“, dürfte es sich „um eine verräterische Projektion handeln“.

Geradezu zur Schelte geriet dem Vorsitzenden die Absetzung von der Staatsanwaltschaft in der Würdigung des psychologischen Gutachtens von Dr. Herbert Maisch, dem die Kammer in vielen Punkten erkenntlich folgte. „Eine psychologische Begutachtung enthält notwendigerweise ein Stück Therapie“, hielt Petersen dem Vorwurf des Anklägers, Dr. Peter Stechmann, entgegen, der Sachverständige habe seine Unabhängigkeit verloren.

Stechmann reagierte übrigens sichtlich nervös auf den Urteilsspruch. Die Staatsanwaltschaft werde wahrscheinlich in Revision gehen, verkündete er am Ende der Sitzung.

Ute Scheub

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