piwik no script img

Ein Name gegen Faschismus

■ In Bremerhaven wurde in der Villa einervon den Nazis tyrannisierten jüdischen Familie eine Altentagesstätte der Arbeiterwohlfahrt eingerichtet

Mehrere hundert Gäste, darunter Bürgermeister, Magistratsmitglieder und Stadtverordnete hatten sich am Freitag vormittag zur Eröffnung einer Altentagesstätte der Arbeiterwohlfahrt versammelt. Das Besondere der neuen Einrichtung: Sie befindet sich in den Räumen einer 70 Jahre alten Villa, die von 1932 bis 1942 der Familie der jüdischen Kaufmanns Joseph Schocken gehörte. „Villa Schocken“ taufte die AWO deshalb die Altentagesstätte und erhielt für die Namesgebung die Genehmigung der Überlebenden des Holocaust. Hilde Schocken. 1938 aus Bremerhaven emigriert, kam zur Taufe ihres Elternhauses nach Bremerhaven zurück.

Sie brachte einen Teil ihrer Fa

milie mit: die Frau ihres Bruders, die Deutschland zum erstenmal seit ihrer Flucht wiedergesehen hat, und dessen Sohn, den 42jährigen Joseph Schocken, der sich im Namen der Familie bei der Stadt und der Arbeiterwohlfahrt für die Einladung und die Benennung des Hauses bedankte. „Ich stehe hier für die erste Generation amerikanischer Juden, die in das Land ihrer Eltern zurückkehren“, sagte Schocken in seiner englisch gehaltenen Rede und gestand: “ Für jeden von uns ist das eine fürchterlich schwierige und emotionale Reise.“

Bremerhavens Kulturdezernent Horst von Hassel, erinnerte in einer bewegenden Rede an die Geschichte der Familie Schok

ken, die 1941 mit der Deportation der letzten in der Stadt verbliebenen Familienmitglieder endete. Sie wurden in ein Vernichtunglager nach Minsk verschleppt. Schockens besaßen in Bremerhaven seit Beginn des Jahrhunderts ein bekanntes und beliebtes Kaufhaus und eröffneten Ende der zwanziger Jahre ein zweites Haus.

In Bremerhaven gehörte die Familie Schocken jahrzehntelang zu den hoch geachteten Familien der Stadt, nicht zuletzt wegen ihres sozialen Engagements. In der „Reichskristallnacht“ wurden die beiden Schocken-Häuser vollständig demoliert und geplündert. In das Privathaus nahm Jeanette Schocken nach 1938 ver

folgte Juden auf, die ihre Wohnung verloren hatten. Nach ihrer Verschleppungübernahm die Kriegsmarine die Villa.

Zur Eröffnung der völlig restaurierten „Villa Schocken“ sagte der Enkel der Bremerhavener Kaufhausbesitzers: „Eure Namensgebung heute wird überall auf der Welt wahrgenommen werden.“ Er lobte den Mut der Bürger und politische Verantwortlichen, mit der Namensgebung ein Zeichen auch gegen den neuaufkommenden Nationalismus zu setzen. So sah es auch von Hassel: Mit der Namensgebung sei die späte, aber immer noch notwendige Trauerarbeit und das entschiedene „Nie wieder“ verbunden.

Hans Happel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen