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Freispruch im Kemptener Aids-Prozeß

Amtsgericht sprach HIV-Positiven frei, der mit seiner Freundin mit deren vollem Einverständnis ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte / Im Zweifel für den Angeklagten / Staatsanwalt kündigte sofort Revision an  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

Das Amtsgericht in Kempten sprach den 29jährigen HIV -positiven Italiener Franco Pietro G. vom Vorwurf der fortgesetzten versuchten gefährlichen Körperverletzung frei. Damit scheiterte der erste und bislang einzige Versuch, einen Aids-Infizierten zu bestrafen, weil er mit seinem/r Partner/in in beiderseitigem Einverständnis und Wissen um die Infektion ungeschützten Verkehr gehabt hatte. Der Mailänder Angeklagte sollte nach Auffassung des Staatsanwalts für acht Monate hinter Gitter. Richter Friedrich Probst betonte jedoch, daß das Urteil keinen Freibrief für potentielle Nachfolgetäter darstelle. „Jeder Fall, bei dem Aids im Spiel ist, muß für sich betrachtet werden.“ In diesem Fall jedoch habe man dem Mailänder nicht nachweisen können, daß er seine anfangs 16-, dann 17jährige Freundin vorsätzlich habe infizieren und damit ihr Leben gefährden wollen. Hätte ein Vorsatz bestanden, so hätte die Anklage auf versuchten Totschlag lauten müssen, betonte Richter Probst. Im Einklang mit dem Sachverständigen, dem Kemptener Landgerichtsarzt Dr. Walzl, und damit auch im Gegensatz zu den Aids-Urteilen der Landgerichte Nürnberg und München, sah Probst die bloße Infizierung mit Aids allein nicht als „Gesundheitsbeschädigung im Sinne des Gesetzes“ an, solange die Krankheit nicht ausgebrochen ist. Ebenso wie Staatsanwalt Nagel, der G.'s Freundin als „dumm, einfältig und unreif“ bezeichnet hatte, konstatierte Richter Probst bei ihr mangelnden Weitblick. Für eine tatsächliche Liebesbeziehung beider sah das Gericht ebenfalls keine tragbare Grundlage. Nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ sprach das Schöffengericht G. schließlich frei. Die Verteidiger des Italieners, dem seit mehr als zwei Jahren seine Aids-Infektion bekannt ist, sprachen von einem in Teilbereichen sensationellen Urteil. G. konnte das Gericht als freier Mann verlassen. Die Strafe von zehn Wochen für zwei kleinere Drogendelikte ist durch die Untersuchungshaft abgegolten. Staatsanwalt Nagel kündigte an, es werde ihm „ein Leichtes sein, in einer Revision ein anderes Ergebnis zu bekommen“.

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