: Massenflucht über die Mauer - in den Osten
900 Polizisten vertrieben die 300 BesetzerInnen des Berliner Lenne-Dreiecks / Fünf Stunden vorher ging das Areal offiziell in West-Berliner Besitz über / Innensenator Kewenig beleidigt über DDR-Verhalten / 29.000 SpaziergängerInnen ermittelt / Keine Gewalttätigkeiten ■ Aus Berlin Petra Bornhöft
Keine fünf Stunden gehörte das ehemalige DDR-Territorium am Lenne-Dreieck, in Berlin in Kubat-Dreieck umgetauft, dem West-Berliner Senat, da ließ Innensenator Kewenig (CDU) gestern früh um fünf Uhr 900 Polizisten, Wasserwerfer und Räumfahrzeuge anrollen, um das seit vier Wochen errichtete Hüttendorf zu räumen. Zum Teil sehr unsanft aus dem Schlaf gerissen, folgten 72 Personen der Aufforderung, den Platz zwecks Personalienfeststellung zu verlassen. Dabei wurde ein Mann festgenommen. Die Mehrheit allerdings, zwischen 180 und 220 BewohnerInnen, entschlossen sich zur Massenflucht in den Osten. Mit Leitern kletterten sie über die Mauer. DDR -Grenzpolizisten empfingen die „MauerhüpferInnen“ mit einem üppigen Frühstück. In den Westen zurückgekehrte Flüchtlinge bedankten sich für die „freundliche und faire Behandlung“ jenseits der Grenze. Zwar hatte kein Besetzer auch nur den kleinen Finger zur Verteidigung gerührt, doch der Innensenator konnte es nicht lassen, „sichergestellte“ Beutestücke zu präsentieren: darunter mit Nägeln bestückte Knüppel, Murmeln, Gasmasken und Brandflaschen.
Die Feldherren-Pose wandelte sich in die einer beleidigten Leberwurst, als Kewenig der DDR vorwarf, das verkaufte Lenne -Dreieck „nicht in dem Zustand übergeben zu haben, wie man es von einem anständigen Geschäftsmann erwarten kann“ - eben besenrein. Der Innensenator rechtfertigte die Räumung unter anderem damit, daß am Lenne-Dreieck „nicht nur Kohlrabis wuchsen und Hühner gackerten“, sondern ein „rechtsfreier Raum“ bestanden habe, in dem sich mitnichten „nur Naturschützer“ aufgehalten hätten. Nähere Angaben zu den 29.000 SpaziergängerInnen, diese Zahl ermittelte die alliierte und deutsche „Luftaufklärung“, konnte er nicht machen. Tagesthema Seite 3
Kommentar Seite 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen