Bilder für alle Sinne

■ Das Tanz- und Musikensemble „Gomina“ zeigte am Freitag einen bunten Bilder- und Melodiereigen rund um den Tango und das Leben: Ein empfehlenswertes Vergnügen

Manchmal ist es vorteilhaft, wenn man relativ unvorbelastet an eine Sache herangehen kann: die im guten Sinne naive Wahrnehmung ermöglicht ein ganz anderes Sich-Einlassen. So bin ich weder ein besonders guter Kenner des Tango, und meine Erfahrungen mit Musicals beschränken sich auf einen Besuch von „Hair“. Aber was da seit Freitagabend auf der Bühne des Packhaustheaters gespielt wird, ist auch weder ein Musical im üblichen Sinne, noch erfordert es eine profunde Vorkenntnis in Sachen Tango: wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der kommt hier nicht nur voll auf seine Kosten, sondern der wird auch andere Sinne angeregt finden.

Das Tanz-und Musikensemble Gomina besteht aus sieben Mitgliedern, die alle auf einschlägige Erfahrungen mit dem Tango zu

rückblicken können, die meisten sogar auf entsprechende Ausbildungen. Und eins wird vom ersten Moment ihres Projekts Como un tango an deutlich: Hier stehen Experten auf der Bühne, denen die Leidenschaft für ihre Profession noch anzumerken ist. Alles andere, z.B. eine kalte Perfektion, wäre auch tödlich für dieses Sujet, das wie kaum ein anderes auf Gefühlen aufbaut, auf herzzerreißender Traurigkeit genauso wie auf prickelnder Lebensfreude. Ob es die drei Musiker sind, die Bandoneon, Kontrabaß und Gitarre virtuos beherrschen, oder das Tanzpaar, das die ambivalent-erotische Seite des Tangos perfekt auf die Spitze treibt, oder die Sängerin, deren kraftvolle Stimme sowohl in den überschäumend-freudigen wie in den melancholischen Liedern überzeugt, oder die Choreographin in der Rolle des Schuhputzerjungen Lucho, der die Fäden immer wieder zusammenführt: Alle besitzen ihre eigene Ausstrahlung, die sich intensiv von der Bühne auf das Publikum überträgt.

Como un tango erzählt keine Geschichte im eigentlichen Sinn; es ist eher ein bunter Bilder-und Melodiereigen rund um den Tango, um das Leben, die Liebe, die Großstadt. Dramaturgisch zusammengehalten werden Musik, Gesang und Tanz durch die Person des Lucho, des Schuhputzerjungen, der in die Großstadt kommt und dort den verschiedensten Menschen begegnet. Gisela Graef-Marino spielt diesen Lucho (eigentlich die Luisa) mit ei

ner kindlich-verspielten Naivität, die in jeder Bewegung, in jedem Gesichtszug natürlich und unangestrengt wirkt. Die für mich vielleicht schönste Szene war denn auch die „Enttarnung“ des Lucho als Luisa, ihr unschuldiger und unbeholfener Tanz mit dem Macho, den sie vorher bestohlen hatte - ein wunderbarer Kontrast zu sonstigen Tanzszenen.

Natürlich drängen sich die prickelnden Darbietungen des Tanzpaares Jorge Rodriguez und Agnes Lacroix neben den beeindruckenden Gesangsvorträgen von Sandra Rumolino besonders in den Vordergrund: da wird das ewige Spiel zwischen Distanz und Nähe, zwischen Aufeinanderzubewegen und Abwehren perfekt inszeniert. Da werden auch die Klischees nicht ausgelassen, mit denen der Tango behaftet ist: der verführerische Macho, aber auch die laszive Frau, die sich verführen läßt. Aber das alles wird mit einer spielerischen Lässigkeit vorgeführt, die nie aufgesetzt wirkt und vor allem nie Zweifel darüber aufkommen läßt, daß hier ein echtes Lebensgefühl zum Ausdruck kommt, das sich immer im Wechsel zwischen Melancholie und Wehmut auf der einen und Lebensfreude auf der anderen Seite bewegt.

Irgendwann fällt einmal der Satz: „Die Stadt ist ein Tier, verführerisch und grausam“. Der Tango ist im Dickicht der Stadt entstanden, hier hat er seine Heimat und seine unabweisliche Berechtigung. Und genau das spiegelt Como un tango wider: das Lebensgefühl in den südlichen Metropolen, das uns coole Mitteleuropäer natürlich nicht zuletzt auch gerade wegen des exotischen Reizes fasziniert. Die Gruppe hat einen faszinierenden Bilderbogen erstellt, für den das intime Packhaustheater gerade den richtigen Rahmen bot. Ein unbedingt empfehlenswertes Erlebnis! (Noch bis zum 14. Juli zu genießen).

JüS