: Dittbrenner (SPD): „Ein bißchen wehmütig...“
■ Der SPD-Fraktionsvorsitzende hat in China niemanden gefunden, der die Entwicklung plant oder „kontrollieren“ würde
taz: Bekommt man überhaupt etwas von einem so fremden Land mit, wenn man als Delegation per Reisebus von Ort zu Ort kutschiert wird?
Claus Dittbrenner: Ja. Zum Beispiel den Gegensatz von Stadt und Land. Wir sind von Guangzhou - das ist Kanton - nach Honkong mit dem Zug gefahren, kilometerweise durch die Reisfeld-Plantagen. Von den Städten aus sind wir immer wieder raus gefahren, das ist das andere China, da sieht man noch die Pflüge, vor denen Ochsen stehen. In den Städten dagegen wird gebaut, die haben Wachstumsquoten von 12 bis 18 Prozent. Das ist ein Widerspruch, der ins Auge fällt, und die Frage ist, ob die Entwicklung richtig ist, ob sie kontrollierbar ist von seiten der Politik und von seiten der Menschen.
Was ist das für ein Land? Versucht China noch, einen sozialistischen Weg zu finden?
Dittbrenner: Die Frage stelle ich mir auch. Die Haupt -Leistungen, die Mao Tse Tung hingekriegt hat, ist erstens, die Einheit der Regionen herzustellen, und zweitens, die Menschen satt zu machen. Über eine Milliarde Menschen - das ist nicht wenig. Bestimmte Konsumideen, die bei uns selbstverständlich sind, wurden beiseite geschoben, keine individuellen Frisuren, Kleidung - das war das Minimum. Einheitsschnitt und fertig. Davon siehst Du heute nichts mehr. Das Straßenbild ist weitestgehend europäisiert.
Man hat, wenn man nach China fährt, so seine Vorstellungen: kleine Häuser, geschwungene Dächer - nix. In Guangzhou haben wir ein paar der traditionellen Häuser noch gefunden. Und da wird jetzt eine 7,3 Kilometer lange Hochstraße reingeknallt.
Die Leute haben da nicht mitzureden?
Dttbrenner: Das Problem ist bei allen Gespächen, daß die Chinesen, bevor sie konkret werden, lange Höflichkeitsfloskeln austauschen, und dann ist der nächste dran, und wenn Du dann konkret fragst... Beim Außenhandelsministerium wollte ich wissen, wie das mit der Infrastruktur ist. Es gibt in China noch keinen Individualverkehr. Es gibt Busse, Autos, die den Staatsorganisationen und dem Militär gehören, und es gibt Fahrräder. Irgendwann kommt mit Sicherheit der Druck der Bevölkerung, die dann auch Privatautos haben will. Dann bricht alles zusammen in Peking. Selbst wenn die Leute mit den Fahrrädern verschwinden würden - das geht einfach nicht. Aber irgendwann haben wir es aufgegeben, so konkreten Fragen zu stellen.
Und Dalian, unsere kleine Partnerstadt..
Dittbrenner: Klein? Fünf Millionen. In Dalian ist das alles ein bißchen anders. Die sind da mehr sachbezogen. Dort hat der Hochhausbau noch diese Ausmaße angenommen.
Gibt es schon Bremer Unternehmer, die in Dalian investieren wollen?
Dittbrenner: Es geht darum, Unternehmern hier das schmackhaft zu machen ist. Die wesentliche Frage: 'Was ist mit dem Gewinn?‘ hat die Regierung dagingehend beantwortet, daß der Gewinn auch außerhalb des Landes gebracht werden kann.
Erst wird in Bremen Produktion abgezogen, und dann wird der Gewinn abkassiert?
Dittbrenner: Ja, da sind sehr liberale Vorstellungen und Gesetze in Kraft getreten.
Aber nur für ausländisches Kapital, nicht für die einheimischen Staatsbürger...
Dittbrenner: Für ausländisches Kapital.
Erträgt die Bevölkerung die jetzige Politik wie sie die Kulturrevolution ertragen hat?
Dittbrenner: Ich habe den Eindruck, daß die Bevölkerung richtig mitzieht. Das sieht man zum Beispiel an der Entwicklung der freien Märkte, wo die Bauern auf eigene Kasse verkaufen können, was sie wollen - für die Bauern lohnt sich das, und für Bevölkerung lohnt sich das auch, weil sie da Dinge kriegt, die es sonst wahrscheinlich nicht gibt.
Freut die Politik der West-Öffnung einen Sozialdemokraten?
Dittbrenner: Was mich ein bißchen wehmütig macht, ist, daß bestimmte Ideale, die mit der Kulturrevolution auch rübergekommen sind, heute keine Rolle mehr spielen. Für mich ist die Frage unbeantwortet geblieben: Wohin geht dieses Land? Wollen sie mit Macht kapitalistische Strukturen übernehmen, vielleicht ein bißchen abgewandelt? Den Eindruck habe ich im Augenblick.
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