China - kein Rot, wenig Grün, viel Beton

■ Bremer Parlamentarier waren zu Besuch in China und der Partnerstadt Dalian / Der Grüne Martin Thomas (und der SPD-Mann Claus Dittbrenner, s.u.) berichten von ihren Eindrücken: Vom Sozialismus, den Menschenmassen und dem westlichen Kapital

Wenn in der Zeit der europäischen Mao-Mode junge, aufmüpfige Europäer in das rote China reisten, kamen sie immer begeistert wieder. Heute auch?

Martin Thomas: Nein, zum Glück nicht. Die meisten fahren heute aus Neugierde hin, um die Kultur kennen zu lernen, die vielen Sehenswürdigkeiten, die Fremdheit. Wir sind damals mit vorgefaßten Urteilen hingefahren, weil wir glaubten, dort sei das sozialistische Paradies zumindest in der Entwicklung.

Was bekommen heutige Chinareisende mit über das Scheitern dieses chinesischen Sozialismus?

Thomas: Heute erlebt man China in einem unheimlichen materiellen Aufbruch. Damals war das eine sehr egalitäre Gesellschaft, schon äußerlich sichtbar in der Kleidung und der Haartracht. Man sah keine freien Märkte, keine Reperatur -Betriebe an der Straße, keine Gemüse-und Früchtestände an den Ecken. Heute versucht jeder teilzunehmen an der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas - bis hin zu dem Mann, der an der Mauer ein Kamel hingestellt hat, auf dem man sich fotografieren lassen kann. Der nimmt 1-2 Yuan pro Foto, verdient also am Tag soviel wie ein Arbeiter im Monat.

Bei einer Entwicklung, in der jeder versucht, schnell zu Geld zu kommen, gibt es viele Betrüger und Coupon-Schneider. Dieser gesellschaftliche Prozeß ist brutel, er zerstört kulturelle Entwicklungen und soziale Beziehungen innerhalb kürzester Zeit. Die Jungen wollen mit den Alten nichts mehr zu tun haben, 50% aller Studenten, die China ins Ausland schickt, wollen nicht mehr zurück. Das hat es früher nicht gegeben.

Kann man sich als Bremer in der Partnerstadt Dalian wohlfühlen?

Thomas: Dalian hat im Kern 1,7 Millionen Einwohner, mit Vororten sind es über 4 Millionen Menschen. Du bist dort nie allein. Ich bin gern zu Besuch da. Das ist faszinierend - so zu leben stelle ich mir schwieriger vor.

Was heißt: nie allein?

Thomas: Es gibt überall Menschen, Menschen und nochmals Menschen. Und auch die Wohnungen sind beengt - von unse

ren Maßstäben aus gesehen. Die Luft ist vergiftet, der Umweltschutz spielt bei diesem Entwicklungstempo kaum eine Rolle...

Die Gesundheit der Menschen gilt wenig?

Thomas: Nicht nur die Gesundheit, überhaupt das Menschenleben. Auf Vergewaltungung steht die Todesstrafe, wer einen Menschen umbringt, hat selbst nur den Tod verdient - das ist in China selbstverständlich. Man hat genug Menschen.

Was machen wir Bremer mit Dalian? Was wird aus der Partnerschaft?

Thomas: Kulturelle und sportliche Austausch-Kontakte wären einfach zu teuer wegen der großen Entfernung. Die polischen Beziehungen sollte man eher unter dem Gesichtspunkt Völkerfreundlschaft sehen, sich gegenseitig kennen lernen und Türen für die Wirtschaft zu öffnen. Das wäre für Dalian gut, es gibt auch eine Wirtschafts-Sonderzone und damit gute Bedingungen zur Ansiedlung.

Völkerfreundschaft heißt also: Die Chinesen sollen an uns Touristen sehen, was für tolle Sache sie nicht haben, und Wirtschafts-Austausch heißt, Bremer Unternehmer sollen die billigen Löhne ausnutzen und vielleicht die teuren Arbeitsplätze hier wegstreichen... Kann man das als Grüner wollen?

Thomas: Ich gehe mehr davon aus, was die Chinesen wollen. Wenn die Chinesen angewiesen sind auf ausländische Hilfe, auf know how, dann würde ich mich nicht dagegen wehren, Was sie daraus machen, ist ihre Sache.

Das hätte Marx anders gesehen. Der hätte die stummen Zwänge der Ökonomie beschrieben.

Thomas: Für die Chinesen bedeutet die Ansiedlung von bremischen Firmen, daß sie die Möglichkeit haben, - zu geringen Lohnkosten, zugegeben - Menschen einen Job zu verschaffen und ihre Arbeitskräfte zu qualifizieren.

Ist China ein schönes Land?

Thomas: Es ist faszinierend, schön würde ich nicht sagen. Schön ist China vielleicht in den grünen Berglandschaften oder den subtropischen Gegenden. Aber das haben wir nicht gese- hen, wir sind in den Millionenstädten gewesen.

Und die Architektur?

Thomas: Peking der Xian sind schachbrettförmig angelegt, spezielle Peking ist eine einzige Baustelle. Überall werden 20, 30stöckige Hotels hochgezogen. In Peking sind immer über 1 Millonen Touristen.

Ich habe mal eine Stunde an einer Kreuzung den Straßenverkehr verfolgt. In Peking gibt es sechs Millionen Fahrräder, keine erkennbare Ordnung, sondern viel Einsatzwillen...

Ellenbogen?

.. Das meine ich damit, Ellenbogen-Mentalität. Ich habe mal in der U-Bahn gestanden und bin einfach an einer Haltestelle nicht hinausgekommen, weil mir soviele Menschen entgegenkamen, die ihren Ellenbogen gebrauchten. Keine Chance.