: Unruhe in der Tennistokratie
Thatchers Kasino-Kapitalismus macht auch vor den Pforten Wimbledons nicht halt ■ Von Rolf Paasc
Wimbledon im Juli. Tennis total oder England, wie es sich unter die Regenschirme verdrückt und mit Galgenhumor auf die Auftritte der Racket-Schwinger wartet. Wie die übrigen sozialen Ereignisse der englischen Freiluft-Saison in Henley (Rudern) und Glyndebourne (Oper) ist auch Wimbledon ein Happening der Upper Class mit Zaungästen aus der Mittelklasse und dem Ausland. Jeden Sommer versammelt sich hier der Welt inzestuöseste Oberklasse, Fossilien zum Verwechseln ähnlich, um im Auftrag der Tourismusindustrie den Mythos vom „good old England“ - in dem die Menschen noch nicht in verslumten Innenstädten hausten, sondern noch auf grünen Wiesen picknickten - wie im Freilichtmuseum vorzuführen. Statt wie ein kapitalistisches Unternehmen des 20. Jahrhunderts wird der „All England Lawn Tennis and Croquet Club“, der „reichste und exklusivste private Club im Lande“, weiterhin wie eine prätentiöse Privatschule geführt. In Wimbledon ersetzt die Exklusivität (noch) die Bandenwerbung, das „quiet please“ die kreischenden Teenager und die sorgfältig „geschichtete“ Verteilung der Eintrittskarten einen unkontrollierten Ticket- Darwinismus. Letzteres konnte allerdings in Maggies Kasino-Kapitalismus nicht lange gut gehen. Nach den Gewerkschaften, dem Sozialstaat und den Staatsindustrien war in diesem Jahr Wimbledon dran. Die Tickets, so forderten die Vertreter der „Neuen Rechten“, sollen auch in Wimbledon demnächst meistbietend verkauft werden. Der vornehmen Verschnupftheit des All England Club setzt Maggies Garde den Geist der Werbeagentur McCormack entgegen, die auch in Wimbledon längst Spieler, Preisgelder und Übertragungsrechte kontrolliert. Becker-Edberg sollen bei Erdbeeren mit Schlagsahne in den Empfangszelten von IBM und anderen nur noch als illustre Kulisse für Kundenpflege und Business-Deal dienen. Spätestens seit diesen Angriffen auf das Management des Tennis-Mekka dürfte das englische Establishment bereut haben, den emporkömmlerischen Heißspornen der „Neuen Rechten“ unter Führung der ehrgeizigen Krämerstochter vor neun Jahren großzügig die Regierungsgeschäfte überlassen zu haben.
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