: Heilige Kühe mit goldenen Nasen
Syriens Wirtschaft wird nur noch durch Schmuggel und Schwarzmarkt am Laufen gehalten / Hauptnutznießer ist das von Staatschef Assad hofierte Militär / Hyperinflation, Unterversorgung und das Gewicht eines bürokratischen Wasserkopfs verstärken Kritik an Assad / Ein Durchschnittslohn reicht nicht zum Überleben ■ Aus Damaskus M.A.Loche
Mittags um zwei wechselt Ali Nagib den Arbeitsplatz. Von seinem Büroschemel im kahlen Arbeitszimmer im dritten Stock des Industrieministeriums schwingt er sich auf den Bock und fährt bis spät abends das Taxi eines Freundes durch die Straßen der syrischen Hauptstadt. 1.500 Lira (etwa 100 Mark) im Monat zahlt ihm das Ministerium. Bei seinem Nachmittagsjob verdient er noch mal gut das Doppelte. Zur Ernährung seiner sechsköpfigen Familie, die ihn wegen der doppelten Arbeitsbelastung nur noch am Wochenende sieht, reicht das noch immer nicht. Um die 6.000 Lira aufzubringen, die die Familie braucht, vermietet er noch einen Raum seiner Vierzimmerwohnung an eine ausländische Studentin.
Wie Ali Nagib haben fast alle Syrer Nebenbeschäftigungen. Lehrer arbeiten nach der Schule in privaten Instituten und geben Nachhilfe, Verwaltungsangestellte produzieren und verkaufen Kunstgewerbe. Während der Erntezeit sind leere Großraumbüros und Produktionshallen keine Seltenheit, denn selbst Städter haben meistens noch ein kleines Stück Land, auf dem sie Oliven und Gemüse anpflanzen, beides Nahrungsmittel, die, im Laden gekauft, das Budget der Familie noch stärker belasten würden.
Jeweils 1.000 Prozent betrug die Inflation in den letzten drei Jahren. Die Gehälter wurden jährlich nur um 15 bis 25 Prozent angeglichen. Wer keine Devisen im Ausland hatte, also die meisten, wurde in die Armut katapultiert. In den ersten Monaten dieses Jahres wurde Fleisch nochmals um 35 Prozent teurer, Konserven gar um 85 Prozent und Benzin um 55 Prozent. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Theoretisch dürften Lebensmittel nur zu Staatspreisen verkauft werden. Nach Aussage des Informationsministeriums deckt die „geplante“ Wirtschaft jedoch nur 40% der Nachfrage. Der Rest wird vom „grauen Markt“ abgedeckt. Der berechnet seine Preise in US-Dollar, denn die Waren werden aus dem Libanon oder der Türkei, beide mit konvertiblen Währungen, ins Land geschmuggelt. Durch die dramatische Abwertung der Lira, in den ersten drei Monaten 1988 um 70%, überschlagen sich die Preissteigerungen.
Ende März wurde es sogar der amtlichen Parteizeitung 'Al Baath‘ zuviel. Von Staatspräsident Hafez Al Assad forderte sie eine strenge Preiskontrolle, da auf den Märkten das Fünffache der zulässigen Preise verlangt würde. Für Assad könnte die Lage brenzlig werden. Schon im vergangenen Herbst hatte eine Kampagne der staatlich kontrollierten Medien den Rücktritt seines Ministerpräsidenten erzwungen. Unter dem neuen Ministerpräsidenten Mahmoud Zohbi hat sich die Lage nicht verbessert. Eingreifen können Zhobi und seine Minister sowieso nur in einen Teilbereich: die uneffektive Produktion. Die anderen Hauptursachen für die Inflation liegen bei der Armee, Assads heiliger Kuh: Mehr als die Hälfte des Etats fließt direkt oder indirekt in das Verteidigungsressort. Der Schmuggel wird größtenteils von Offizieren kontrolliert.
Der staatliche Sektor, der drei Viertel der industriellen Produktion in Syrien abdeckt, leidet vor allem an seinem kostenintensiven bürokratischen Wasserkopf. Auf einen Arbeiter kommen zwei Verwaltungsangestellte. Dieser Wasserkopf sichert zwar vielen Syrern wenigstens das oben erwähnte Grundgehalt, verursacht aber gleichzeitig einen Teil der hohen Inflation, weil der Staat an Zahltagen die Notenpresse schneller laufen läßt. Eine vernünftige Planung ist in den Betrieben kaum möglich, weil die Dienstwege zu lang sind. Versorgungs- und Absatzengpässe sind die Folge. Viele Anlagen sind schon unwirtschaftlich konzipiert. Größe und Ausstattung sind weniger nach dem Bedarf des Marktes als nach der zu erzielenden Provision für den (syrischen) Vermittler ausgelegt, der die Verträge mit ausländischen Herstellerfirmen abschließt. Die Folge dieser planlosen Ansiedlungen ist ein riesiger Import. Nicht nur Anlagen werden importiert, sondern auch die zum Betrieb notwendigen Rohstoffe. Da Syrien kaum Exportprodukte hat, ist seine Handelsbilanz seit Jahren defizitär. Inzwischen sind die Devisenreserven auf ein Minimum geschrumpft. Als Gegenmaßnahmen wurden drastische Importverbote verhängt. Folge davon wiederum sind Betriebe, in denen mangels ausländischer Rohstoffe und Ersatzteile nicht mehr gearbeitet werden kann. Logischerweise werden diese Waren eingeschmuggelt. Nutznießer dieses Schwarzmarktes ist nicht der Normalverbraucher (der die hohen Preise nicht bezahlen kann), sondern sind die Militärs, die den großangelegten Schmuggel kontrollieren und sich damit eine goldene Nase verdienen. Rifat Al Assad etwa, der Bruder des Präsidenten, finanzierte seine berüchtigte Sondertruppe bis 1984 unter anderem durch KFZ-Schmuggel aus dem Libanon.
Aber in Damaskus selbst kann man zu den Hauptverkehrszeiten manche Vororte per Bus nicht mehr erreichen. Der Grund: Die Hälfte der 700 Busse steht wegen Ersatzteilmangel defekt in den Garagen. Der drohende Konkurs wurde bisher durch Maßnahmen wie Einfuhrverbote nur verzögert. Hin und wieder helfen auch Finanzspritzen der Arabischen Liga oder Entwicklungshilfegeber. Zum Besuch von BRD-Ressortchef Hans Klein Anfang April zum Beispiel gab es wieder eine Handvoll Dollars.
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