: Bernd Rössner - einer von neunzehn
■ Für den kranken RAF-Häftling hat ein Münchner Pfarrer Haftverschonung beantragt / Von G. Rosenkranz
Nach jahrelangem öffentlichem Druck wurde Klaus Jünschke endlich Mitte Juni aus der Haft entlassen. Jünschke war als ehemaliges Mitglied der RAF zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Mit dem „Gnadenakt“ ist die Diskussion über die auch von der Linken fast vergessenen Gefangenen der Rote Armee Fraktion neu entbrannt. Es geht um Perspektiven jenseits von Knast, Isolation und Sprachlosigkeit bis zum Tod. Es geht um 19 „Lebenslängliche“ und andere, die hohe Zeitstrafen abzusitzen haben. Der starre Gegensatz zwischen der Forderung nach „Freilassung aller politischen Gefangenen“ und den Bemühungen um „individuelle Lösungen“ muß gesprengt werden. Auch wenn eine allgemeine Amnestie nicht im entferntesten in Sicht ist, ist niemand aus der Pflicht entlassen, sich um die politischen Voraussetzungen zur Entlassung möglichst vieler zu bemühen. Verhängnisvoll wäre es, wenn die öffentliche Distanzierung von den Zielen der RAF als eine Art Unterwerfungsakt zur Voraussetzung sine qua non würde. Schließlich gibt es nicht nur eine politische, es gibt im Einzelfall auch eine juristische - um nicht zu sagen „rechtsstaatliche“ - Verpflichtung des Staates, Gefangene freizulassen. Bernd Rössner, nach dem Überfall auf die Botschaft in Stockholm verurteilt, ist einer von ihnen. Rössner sitzt seit über 13 Jahren, davon zehn Jahre unter Isolationsbedingungen. Die gesundheitlichen Folgen sind so, wie das von Anfang an befürchtet worden war. Ein evangelischer Studentenpfarrer hat bei der bayerischen Justizministerin jetzt einen Antrag auf Haftverschonung gestellt.
„Denen mußte mal gezeigt werdcen, daß es einen Willen gibt, der stärker ist als ihrer.“ Helmut Schmidt im April 1975, wenige Tage nach dem RAF-Überfall auf die bundesdeutsche Botschaft in Stockholm. Der stärkere Wille: Das war die strikte Weigerung der Bundesregierung, über die Besetzerforderung nach Freilasssung von 26 Gesinnungsgenossen zu verhandeln. Die „Aufrechterhaltung der Schutzfunktion des Staates“ (Schmidt) hatte gerade zwei Diplomaten und zwei Botschaftsbesetzer das Leben gekostet. Gut 13 Jahre später widmen sich die Justizbehörden immer noch der Umsetzung des Schmidt-schen Credos. Die vier Überlebenden des „Kommandos Holger Meins“ - Hanna Krabbe, Lutz Taufer, Karl-Heinz Dellwo und Bernd Rössner -, jeweils zu zweimal lebenslänglich verurteilt, sitzen fast vergessen in den Knästen von Celle, Lübeck und Straubing.
Über Bernd Rössner, um den es hier gehen soll, sagt einer seiner früheren Anwälte: „Mit jedem anderen Delikt wäre der längst draußen.“ Der Eindruck, den der im bayerischen Straubing einsitzende Gefangene bei seinen wenigen Besuchern hinterläßt, ist immer derselbe. Für Studentenpfarrer Hans Löhr, der ihn regelmäßig besucht, ist Rössner „offenkundig haftunfähig“. Antje Vollmer, Bundestagsabgeordnete der Grünen, beschrieb ihre Beobachtungen nach einem Besuch im letzten Jahr so: „Ich sehe, daß er krank ist. Er hat eine Gürtelrose mit großen offenen Stellen an den Armen. Wiederholt ist er ins 'Spital‘ eingewiesen worden, erfahre ich. Medikamente weist er zurück. Trotzdem diese tiefe abwesende Erschöpfung. Die Zeitungen, die er bekommt (die 'Welt‘ ist dabei) kann er kaum oder nur stückweise lesen. Wenn ich etwas davon verstehe und meinen Augen trauen kann (die Blässe, die Unruhe), dann ist er haftunfähig.“
Zur gleichen Zeit, als in Berlin und Frankfurt die Studenten rebellierten, verlief Bernd Rössners Lebenslauf noch in durchaus bürgerlichen Bahnen. Er wurde Reprofotograf und machte in München seinen Facharbeiter. In einer dortigen Firma brachte der Beamtensohn es sogar zum „Abteilungsleiter“, bevor es ihn 1970 nach Hamburg zog. Dort stieß er gemeinsam mit Karl-Heinz Dellwo zu der Szene, die in der Eckhoffstraße eines der ersten Häser überhaupt besetzte und sich dafür ein Verfahren nach §129 („kriminelle Vereinigung“) einhandelte. Nach der Verhaftung der ersten RAF-Generation und der Einrichtung der Hochsicherheitstrakte schloß sich Bernd Rössner einem der damals vielerorts gegründeten „Anti-Folter-Komitees“ an, klebte Plakate gegen den „Toten Trakt“ der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln -Ossendorf und protestierte auf einer Sitzdemonstation in Hannover gegen die Isolationshaft.
Im November 1974 starb nach 50 Tagen Hungerstreik Holger Meins in der Haftanstalt Wittlich. Tags zuvor war seine künstliche Ernährung ausgesetzt worden, der zuständige Arzt in Wochenend-Urlaub gegangen. Die Empörung über die Todesumstände erfaßte weit mehr als das unmittelbare RAF -Umfeld. Manchen erschien eine „Big Raushole“ jetzt als das letzte Mittel, um den Tod weiterer Inhaftierter zu verhindern. Tatsächlich gelang der „Bewegung 2.Juni“ mit der Lorenz-Entführung Anfang 1975 die spektakuläre Befreiung von fünf Gefangenen.
Die RAF wollte wohl nicht dahinter zurückstehen. Am 24.April 1975, wenige Tage vor Beginn des Stammheimer Prozesses gegen Baader, Meinhof, Ensslin und Raspe, drang das „Kommando Holger Meins“ in die Stockholmer Botschaft ein, um im Austausch für 11 Geiseln 26 Gefangene aus bundesdeutschen Knästen freizupressen. Ehe die von den Geiselnehmern angebrachten Sprengsätze kurz vor Mitternacht unter nie ganz geklärten Umständen explodierten, hatten die Attentäter zwei Diplomaten erschossen. Kommando-Mitglied Ulrich Wessel wurde bei der Detonation getötet, der schwer verletzte Siegfried Hausner trotz seines kritischen Zustands in die Bundesrepublik geflogen. Er starb wenige Tage später in Stammheim.
Insgesamt sechs Hungerstreiks nahm Rössner auf sich, um aus der Einzelhaft, die volle zehn Jahre andauerte, herauszukommen und mit den anderen „Stockholmern“ - Karl -Heinz Dellwo und Lutz Taufer - zusammengelegt zu werden. Im Frühjahr 1983 entschloß er sich in einer verzweifelten Aktion zu einem Schmutzstreik: Er weigerte sich über Wochen, das Klo zu benutzen oder sich zu waschen.
Heute unterliegt der Gefangene in Straubing dem sogenannten Normalvollzug. „Umschluß“ hat er mit dem ebenfalls „Lebenslänglichen“ RAF-Gefangenen Rolf Heissler. Von der allgemeinen Arbeitsverpflichung ist Rössner befreit. Nach den Worten eines Gefängnisbeamten ist der Gefangene „unverschuldet nicht arbeitsfähig“. Neue Anträge auf Zusammenlegung mit anderen Gefangenen aus der RAF gibt es nach Angaben des Rössner-Anwalts Peter Tode nicht.
In der vorvergangenen Woche forderte Pfarrer Hans Löhr als Mitglied eines in Sachen „Verhältnis RAF / Staat“ engagierten Arbeitskreises der Evangelischen Studentengemeinde in München die bayerische Justizministerin Berghofer-Weichner auf, Rössner aus „christlich-humanitären, aber auch aus politischen Gründen“ aus der Haft zu entlassen. Der Gefangene bedeute für die Gesellschaft „längst keine Gefahr mehr“, schrieb Löhr an die Ministerin. Ausdrücklich betont der Pfarrer, daß Rössner ihn nicht um diese Initiative gebeten habe. Der Gefangene selbst sei „aus Gründen der Selbstachtung und der Selbsterhaltung im Gefängnis zu einem öffentlichen Abschwören nicht in der Lage“.
Offiziell weiß Frau Berghofer-Weichner noch nichts von Löhrs Initiative. In Straubing selbst gibt es jedoch erste Hinweise auf eine Reaktion der Gefängnisleitung: Einen Brief des Pfarrers, mit dem er Rössner über die Intervention unterrichten wollte, hat die Gefängnisleitung anscheinend kurzerhand kassiert. Jedenfalls erklärte Rössner anläßlich des letzten Besuchs von Löhr in Straubing am vergangenen Freitag, das Schreiben habe ihn nie erreicht.
Ansonsten gibt sich die Gefängnisleitung relaxed. Der Sprecher des Münchner Justizministeriums, Bernhard Glocker, gegenüber der taz: „Nach Meinung der Anstalt besteht im Fall Rössner kein Grund zur Besorgnis.“
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