: Investitionen ohne Arbeitsplätze
Alte wirtschaftspolitische Formeln stimmen nicht mehr / Niedrigqualifizierte Verlierer im technischen Strukturwandel ■ Von Kurt Zausel
Berlin (taz) - Die gern zitierte Gleichung: höhere Gewinne der Unternehmen höhere Investitionen mehr Arbeitsplätze ist seit geraumer Zeit nicht mehr stimmig. Was während der Phase der ökonomischen Prosperität der sechziger und frühen siebziger Jahre noch gegolten hat, trifft für die strukturell anderen Akkumulations- und Wachstumsbedingungen der achtziger Jahre nicht länger zu. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung im Rahmen der vom Bundesministerium für Wirtschaft in Auftrag gegebenen Strukturberichterstattung. Vor allem dank des geringen Lohnanstiegs und der niedrigen Einfuhrpreise für Rohstoffe auf DM-Basis sind zwar die Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und die Sachkapitalrendite stark angestiegen. Allein hat sich diese Verbesserung der Renditebedingungen aber nicht in einem proportionalen Anstieg der Investitionen niedergeschlagen. Die vebesserte Ertragssituation, so die ifo-Forscher, wurde von den Unternehmen vorrangig zur Konsolidierung ihrer Bilanzen genutzt. Finanzierte der private Unternehmenssektor im Jahr 1981 noch etwa 72 Prozent seiner Bruttoinvestitionen durch Eigenmittel, so stieg die Selbstfinanzierungsquote im Jahr 1986 bereits auf 96 Prozent an. Gleichzeitig nahm der Bestand an Kassenmitteln, Wertpapieren und Beteiligungen erheblich zu. Die von der konservativ-liberalen Koalition in Bonn verfolgte Wachstumsstrategie, die auf die Verbesserung der Kapitalrentabilität setzt, hat bislang keinen durchgreifenden Investitionsaufschwung in Gang setzen können.
Die in der ifo-Studie veröffentlichten Daten zur Enwicklung der Kapitalrentabilität und der Investitionsquote legen den Schluß nahe, daß zwischen beiden Größen ein gegenläufiger Zusammenhang besteht: Je mehr die Kapitalrentabilität ansteigt, desto geringer wird der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen je Einheit Bruttowertschöpfung. Hinter diesem veränderten Investitionsverhalten der Unternehmen dürften sich vor allem die günstigen Verwertungsbedingungen für Geldkapital verbergen, die den Kauf von Wertpapieren und die Investition in zinstragende Anlagen zu einer erfolgversprechenden Alternative machen.
Trotz des geringen Investitionstempos während der achtziger Jahre liegt alerdings das Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen über der Steigerungsrate der Bruttowertschöpfung. Bei dem weitaus überwiegenden Teil der Bruttoanlageinvestitionen handelt es sich allerdings um Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen. Die direkt arbeitsplatzschaffenden Erweiterungsinvestionen haben sich kontinuierlich zurückgebildet. Im Mittelpunkt der unternehmerischen Modernisierungsanstrengungen steht die Einführung elektronisch gesteuerter Maschinen und Anlagen. Hatten NC-Maschinen im Jahr 1980 noch einen Anteil von nur zwei Prozent am gesamten Werkzeugmaschinenpark, so belief sich diese Quote 1986 bereits auf sechs Prozent. Im Falle komplexerer Automatisierungseinheiten steht eine verbreiterte Einführung allerdings noch aus. Der ifo -Untersuchung zufolge wenden etwa in den Investitionsgüterindustrien nur etwa drei Prozent der Betriebe solche komplexen Technologien an.
Die Mehrzahl der industriellen Sektoren ist in den achtziger Jahren durch einen Abbau von Arbeitsplätzen gekennzeichnet. Dies verweist auf den arbeitssparenden Charakter von Investitionsprozessen: Investitionen in modernere Anlagen lohnen sich erst dann, wenn die Einsparung an Lohn- und Vorleistungskosten größer ausfällt als die Kosten dieser Investition. Kompensatorische Beschäftigungswirkungen könnten sich allein aus der Verbilligung der Produkte sowie der Einführung neuer Produkte ergeben. Wird die Verbilligung der Produktionskosten in Form von Preissenkungen weitergegeben, dann steigt das gesamtwirtschaftliche Realeinkommen. Werden diese gesteigerten Einkommen vollständig in höhere Nachfrage umgesetzt, dann kommt es zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die ifo-Untersuchung zeigt allerdings, daß diese „Übersetzung“ nur unvollständig funktioniert. Auch die Einführung neuer Produkte auf den Markt, die neue Nachfrage erschließen, zeigt bislang nur geringe Beschäftigungswirkung.
Der technische Wandel zeitigt allerdings deutliche Wirkungen in bezug auf die Qualifikationsanforderungen. Benötigt wird in zunehmenden Maße qualifiziertes Personal für Planung, Arbeitsvorbereitung und Anlagebetreuung. Angesichts dieser Tendenzen ist es nicht weiter erstaunlich, daß vor allem die niedrigeren Qualifikationsgruppen zu den Verlierern im kapitalistischen Strukturwandel zählen. Mit einer bloßen Qualifizierungsoffensive, wie sie die ifo -Forscher vorschlagen, dürfte allerdings das Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit nicht zu bewältigen sein. Erforderlich wäre vor allem, in der Entwicklung wirtschaftspolitischer Strategien den veränderten Zusammenhang zwischen Unternehmensgewinnen und Investitionsneigung zu berücksichtigen.
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