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Ein vergessener Rebell

■ Wer war Upton Sinclair? Die erste „Upton Sinclair World Conference“ an der Uni Bremen für alle, die ihn nur vom Hörensagen kennen

„Dieter has done a fine job in organizing this“, sagt der Herr mit dem gepflegten Backenbart und einem ganz erstaunlich brrrrraaaöiten amerikanischen Akzent. Dieter ist Bremer Literaturwissenschaftler (üblicherweise mit „Prof. Dr.“ davor und „Helms“ dahinter) und hat vom 5. - 9. Juli mit voller Absicht die erste Upton Sinclair World Conference ins „sozialdemokratische Land Bremen“ geholt.

Upton Sinclair (1878-1968), der den meisten redaktionsintern Befragten irgendwie bekannt war (man wußte bloß nie wofür), ist der amerikanische Vater der kritischen Sozialreportage in Romanform, ein großer, früher Wallraff mit - so sagt Jack Nelson, der Herr mit dem Backenbart - „sehr viel epischeren Dimensionen“. Er schreibt besser. Ein „Muckraker“ (Dreckaufwühler), der sich ordentlich in soziale Milieus einmischte, bevor er 90 z.T. über 500 Seiten dicke Bücher und 30 Theaterstücke sehr spannend und nicht übertrieben kunstvoll damit zugeschrieben hat.

Darüber hinaus ein politischer Aktivist, radikaldemokratischer Gefühlssozialist, der neben Fertigstellung des - so Dieter Herms - „monumentalsten antifaschistischen Werks, das jemals aus der USA kam“ noch Zeit fand, sich in Californien zur Gouverneurswahl zu stellen, und mit einem naiv sozialistischem Selbsthilfeprogramm eine Million Wählerherzen erobert hat.

Sinclairs anscheinend bekanntesten Werke „Dschungel“, „Oil“ und die 11x100-Seiten-Serie „Lanny Budd“ wurden in Deutschland erstmals 1906 vom sozialdemokratischen „Vorwärts“ veröffentlicht, Kommunisten besprachen ihn in der „Roten Fahne“ und der Malik-Verlag veröffentlichte Sinclair -Ausgaben mit schönen John Heartfield Covern bis in die 30er Jahre Dann wurde Sozialist Sinclair verboten.

In den 40er und 50er Jahren hatte die deutsche Literaturwissenschaft mit Politik von Grund auf nichts mehr zu tun, verbiesterter Form-Purismus verschloß ordnungsgemäß die Augen vor einer Literatur, „die viel komplexer war als pure Ästhetik“. So sagt Ivo Vidan von der Universität Zagreb, die „Yugoslav Connection“ der Tagung, zu der u.a. Sinclair-Forscher aus der UdSSR, Japan und Indien anreisten. Sinclairs Lavieren zwischen „facts, ideology and writing“ sei erst in den 70er Jahren linksradikalstudentenbewegt wiederentdeckt worden und habe dann automatisch zu einer sehr modernen Annäherung geführt: Historiker, Pädagogen, Politik-und Literaturwissenschaftler forschen interdisziplinär durcheinander, was begeisternde, spannende Kongresse verspricht. „Ich schätze, Sinclair hat so ungefähr über jedes Thema gewschrieben. Hier treffen sich darum sehr viel verschiedene Spezialisten mit einem Schwerpunkt“, sagt Jack Nelson.

Die 70er Studentenbewegten sind 1988 schleißlich „reife“ Sinclair-Forscher von internationalen Ruf und können endlich - das sagten die Pressekonferenzteilnehmer schön einhellig eine wissenschaftlich abgesicherte und „faszinierende“ Tagung zum Thema abhalten. „Ich habe drei Jahre gebraucht, um diesen Kongreß zustande zu bringen“, sagt Dieter Helms abschließend.„Sinclair ist vielleicht in 10 Jahren wieder dran.“

Dennoch hält er die 20er Verkörperung moderner amerikanischer Literatur für sehr „übertragbar auf den gigantischen Mist, der heute bei uns passiert, ökologisch z.B. Man bräuchte heute zehn bis fünfzehn Sinclairs. Es passiert massenhaft Scheiße, und darüber müßte geschrieben werden.“

Ein Sinclair hat 70 Jahre historische Realität, die Hälfte der Geschichte seiner Nation böse begleitet. Darüber ist er vom Antifaschisten zum Antistalinisten konvertiert, war zum Schluß nur noch massiv undifferenziert antisowjetisch und unbeachtet. Ein vergessener Rebell.

Petra Höfer

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