: Sozi-Empfänger weiter auf Diät
■ Senat lehnt SPD-Vorschlag ab, den kärglichen „Warenkorb“ für Sozialhilfeempfänger durch „Grundsicherung“ zu ersetzen
Man nehme: Den dreißigsten Teil einer Tageszeitung, zwei Gramm Haferflocken, sechs Gramm Harzer Käse, fünf Gramm Joghurt und eine halbe Zigarette. Dazu kommen 17 Gramm Kondensmilch, eine halbe Scheibe Schwarzbrot, ein paar Kaffeebohnen, etwas Magerquark und Zucker: Das ist ungefähr das morgendliche Mahl des ideellen Gesamtsozialhilfeempfängers der Stadt Berlin im Wert von einer Mark und einen Pfennig. Der Kreuzberger Sozialstadtrat Günther König und seine Kollegin Helga Kampfhenkel - beide Mitglieder der SPD - luden die Presse ins Rathaus ein und setzten den JournalistInnen das ärmliche Frühstück vor die Nase.
Von solcher kärglichen Kost umgeben - die übrigens trotz mehrfacher Aufforderung keiner der ReporterInnen anrührte -, forderten König und Kampfhenkel eine Reformierung der Sozialhilfe. Seine Mitarbeiter im Sozialamt, so klagte der Sozialstadtrat, seien immerfort mit der Bearbeitung von Sonderanträgen beschäftigt, weil der finanzielle Regelsatz (424 Mark monatlich für Alleinstehende und „Familienvorstände“ im Monat) nicht zum Leben reicht.
Die SPD in Kreuzberg plädiert deshalb für eine alternative „Grundsicherung“ in der Höhe von 680 Mark. Diese soll nicht mehr allein von den Kommunen finanziert, sondern auch von den Rentenversicherungsanstalten und der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt werden. Solange diese einschneidende Änderung nicht durchsetzbar sei, biete sich für Berlin das „Duisburger Modell“ an. In der Ruhrgebietsstadt wird ein höherer Sozialhilfebetrag ausbezahlt, weil Sonderausgaben beispielsweise für Kleidung - nicht extra beantragt werden müssen, sondern pauschal in jedem Monat mit aufs Konto der EmpfängerInnen überwiesen werden. Der Vorteil: „Die Antragssteller brauchen sich nicht 'auszuziehen‘, wenn sie ihren Bedarf nachweisen.“ Außerdem würden die Papierberge in den Ämtern schrumpfen; die Mitarbeiter des Sozialamtes hätten mehr Zeit „für die Menschen“.
Der Sozialsenat lehnt das Modell ab. Ein Sprecher zur taz: „Die Sozialamtsgelder sind zweckgebunden.“ Die pauschal höhere Summe, die zum Beispiel für Hosen oder Mäntel gedacht sei, dürfe nicht für Lebensmittel ausgegeben werden. Falls das geschehe, und der Sozialhilfeempfänger trotzdem einen Sonderantrag stellt, darf dieser nicht abgelehnt werden: Darauf gibt es einen Rechtsanspruch. „Wir rechnen da mit einer Mehrbelastung von jährlich zwei Millionen Mark!“ fürchtet der Senat.
ccm
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