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„Unvermeidliche Konsequenz einer falschen Politik“

Konteradmiral im Ruhestand Eugene Carroll, stellvertretender Direktor des Washingtoner „Center for Defense Information“, zu dem Airbus-Abschuß  ■ I N T E R V I E W

taz: Was hat im Golf versagt: ein Computer, der Mensch oder die Politik?

Carroll: Im wesentlichen handelt es sich um eine verfehlte Politik. Wir haben unsere Kriegsschiffe mitten in einen erbitterten Krieg versetzt, in eine Situation, in der sie von Schiffen, Flugzeugen und Kriegshandlungen umgeben sind. Systeme und Menschen sind fehlbar. Unter dem Druck, den die Bedingungen in der Region produzieren, werden Fehler gemacht und unschuldige Menschen zu Schaden kommen.

Das heißt aber, daß fehlerhafte menschliche Entscheidungen gefällt wurden, die dann zu diesem Unglück geführt haben?

Es war eine unvermeidliche Konsequenz, nachdem wir Kriegsschiffe in eine Position versetzt hatten, in der deren Systeme und die Menschen an Bord nicht immer die richtige Entscheidung fällen konnten. Offensichtlich hatten wir es mit teilweise mangelhafter Ausrüstung und/oder mangelhaftem Urteilsvermögen zu tun, aber das geschieht zwangsläufig in Kampfsituationen. Wenn die Politik Situationen schafft, in denen solche Mängel unvermeidbar sind, so ist die Politik falsch - es sei denn, sie ist den verantwortlichen Politikern diesen Preis wert. Wenn sich jemand entscheidet, daß die Politik diesen Preis wert ist - diese Kosten in Form von Menschenleben, Dollars und Gerät -, nun, dann ist die Politik gerechtfertigt und derjenige muß eben den Preis für sie bezahlen.

Ist dies die Haltung der Reagan-Administration?

Ja. Sie ist offenbar nicht willens, ihren Glauben zu überprüfen oder zu revidieren, daß unsere Kriegsschiffe im Persischen Golf dazu beitragen, Stabilität und den Zugang zu den Ölvorkommen in der Region zu bewahren. In Wirklichkeit ist es seit der Ankunft unserer Schiffe und der Umflaggung der kuwaitischen Tanker schwieriger geworden, Öl aus dem Persischen Golf zu exportieren. Es gibt mehr Angriffe auf Schiffe, mehr sind zerstört worden. Statt weniger ist es zu mehr Gewalt gekommen. Wenn eine Politik und ihre Umsetzung genau das Gegenteil von dem erreicht, was man erreichen wollte, sollte man über diese Politik neu nachdenken.

Erwarten Sie nun eine Änderung der US-Politik?

Nein, unter der gegenwärtigen Administration und mit der gegenwärtigen Stimmung im Kongreß, wo viele Mitglieder zur Neuwahl anstehen, fehlt der Wille, eine solche schwierige Überprüfung zu erzwingen. Viele Leute geben zwar zu, daß wir nicht richtig handeln, und glauben, daß wir die Politik ändern sollten. Doch sie glauben auch, daß dies unmöglich ist, ohne es so aussehen zu lassen, als ob wir gescheitert wären und unsere Nerven verloren hätten. Ich weise dieses Argument zurück, denn wir haben den gleichen Fehler schon in Vietnam begangen. Unsere Politik war falsch, wir wußten nicht, wie wir sie ändern sollten. Und so ging der Krieg weiter und kostete Zehntausende von Menschenleben und Hunderte Milliarden Dollar.

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Abschuß des Airbusses und dem koreanischen Jumbo durch die Sowjets 1983?

In beiden Situationen ging der Entscheidung zum Feuern große Verwirrung über die Identität und die Absichten des unbekannten Flugzeugs voraus. Im Golf herrschte größerer Zeitdruck als über Kamtschatka. Die Konsequenzen waren identisch: Viele unschuldige Menschen wurden getötet, ohne Rechtfertigung. Der Unterschied ist der Zeit- und Entscheidungsdruck der heutigen Situation im Golf, verursacht durch die Entscheidung, unsere Schiffe dorthin zu schicken.

Interview: Stefan Schaaf

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