: „Arnos Schreibmaschine ist nämlich kaput“, d. Säzzerin
Hansjörg Bahmann
Als, es ging gegen Abend und die Geräusche verlagerten sich von den Redaktionsräumen immer mehr in die Hallen mit den Druckmaschinen, die Neonröhre sich einschaltete, war die Schreibmaschine bereits verschwunden. Die Säzzerin hatte gerade behauptet, daß mit der Notwendigkeit, typographisch zu schreiben auch ein Teil literarischer Qualität verloren gehen würde. Die Hilfsredakteurin, in einer Tasse rührend, hatte derart heftig erwidernd dargelegt, was für neue Qualitäten mithilfe der „künstlichen Intelligenz“ entstehen könnten, daß beide das Verschwinden der Schreibmaschine nicht bemerkten. Und auch die Neonröhre, die sich jetzt einschaltete, hatte Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Sie brummte.
Der Composer schwieg. Er war ein höflicher, auch ein wenig schüchterner Composer, der sich nicht in Frauengespräche einmischte. Allerdings hatte man ihn noch nie etwas bemerken hören, daß nicht direkt zu seiner Arbeit gehörte. Vielleicht war er auch einfach zu dumm dazu. Viel dümmer jedenfalls als die Maschinen, von denen Säzzerin, Hilfsredakteurin und Schreibmaschine sprachen.
Die Neonröhre hielt nicht stille, zu lange hatte sie - und mit wachsender Aufregung - dem Gespräch der drei gelauscht.
Angefangen hatte es mit einem der obligatorischen Seufzer der Säzzerin. Gegen Abend, wenn der Lärm aus den Redaktionsräumen sich langsam in die Hallen mit den Druckmaschinen verlagert, seufzte die Säzzerin. Gegen Abend lachte sie nicht und schimpfte nicht mehr über das, was sie zu setzen hatte. Sie fügte keine witzigen Kommentare mehr ein. Sie seufzte nur noch.
Während sie die letzten Zeilen in das Gerät gab, sah sie sich selber an. Sie tat das natürlich innerlich, in der Vorstellung, denn sie saß ja vor dem Composer. Und seufzte. Sie fand sich unförmig werden, dachte, ohne Fehler zu tippen, an die breiter werdenden Hüften, den Teig in den Schenkeln und Schlimmeres. Es half dann nur noch, über die unmöglichen Arbeitsbedingungen zu maulen, denen sie die Schuld an der vermeintlichen Zerstörung ihrer Schönheit gab. Sie stöhnte, noch ein paar allerletzte Änderungen aus der Redaktion für Kulturelles einfügend, über den ewigen Streß, die schlechte Luft, die schiefe Haltung am Composer und das künstliche Licht. Wäre nicht die alte Remington auf dem Tisch neben ihr gestanden, niemand hätte ihr zugehört.
Das Schätzchen war der Augapfel des Redakteurs. Keiner durfte sie benutzen, so war sie ziemlich altklug und vorlaut geworden. Da jeder ihre Tücken und Allüren kannte, kam keiner auf die Idee, mit ihr zu schreiben. Sie hielt die dadurch entstehende Distanz indessen für ein Zeichen von Hochachtung und bildete sich Wunder was ein.
Umso mehr staunte die Säzzerin, als das alte Teil jetzt ihre Seufzer zu kommentieren begann. Die Schreibmaschine bestritt hartnäckig die These der Säzzerin. Nicht, wie man arbeite, sondern was und wofür, präge die Medienmacher. Die habe, fügte die Remington nachdrücklich mit ihrer knarrenden Stimme hinzu, mehr Erfahrungen als die Säzzerin, sei in einem Alter, in dem man über Schönheit ohnehin anders dächte und kenne sich aus in Redaktionsstuben.
Und schon wollte sie mit einer ihrer gefürchteten, langen Reden, die als gewagte Mischung zwischen belehrendem Moralvortrag und selbstbemitleideter Autobioprosodie berüchtigt waren, beginnen. Schon kam sie wieder mit schwärmerischem Unterton auf ihre Zeit in der Redaktion einer Modezeitschrift zurück, als sie modernste Maschine der Chefredakteurin gewesen war. Schon schilderte sie, mit der ihr eigenen knarrenden Stimme, wie dumpf die Frauen durch Mode-, Kleider- und Parfumdarstellungen werden könnten. Schon stürzte sie sich, aufmerksamkeitheischend, wie es nur alte, halb vergessene Schreibmaschinen sind, mitten in Vergleiche zwischen dem Begriff der Schönheit einer Mode und dem einer linken Zeitung. Schon seufzte die Säzzerin, jetzt müde und unwillig, die Remington zu unterbrechen.
Schon schien alles zu gehen wie stets gegen Abend, wenn die Geräusche sich verlagerten und die Säzzerin sich betrachtete, in der Vorstellung zurück.
Als auf der Suche nach Milch ihren Kaffee zu trüben, die Hilfsredakteurin in den Satzraum trat. Die Tasse sicher balancierend, den Kopf voller Phrasen und Begriffe, die der Tag mit sich gebracht, steuerte sie geradewegs auf die gnadenlos schwatzende Remington zu. Die Hilfsredakteurin liebte es, den Kaffee zu trüben, eben gerade trüb zu machen mit einem winzigen Tropfen Milch. Der fehlte ihr. Lieber ließ sie den Kaffee kalt werden, als ihn ohne den Trüb zu trinken.
Die Säzzerin seufzte. Die Remington schwatzte. Die Hilfsredakteurin fluchte, daß es nicht einmal Milch gäbe.
Welches „nicht einmal“ die Säzzerin als Bestätigung ihrer These von den miserablen Arbeitsbedingungen nahm. Sie beendete abrupt ihre Arbeit, stand auf und bat die Hilfsredakteurin, nicht ohne eine klagende Geste in Richtung auf den unmöglichen Stuhl, auf dem sie zu arbeiten habe, um einen prüfenden Blick, ihren quellenden Körper, zu schauen. Sie wies auf ihrer Meinung nach besonders drastische Speckrollen, klopfte auf den Po, zupfte am Arm.
Eigentlich hätte sich die Neonröhre schon zu diesem Zeitpunkt am liebsten eingeschaltet, hatte sie doch den Säzzerinnensatz vom gemeinen künstlichen Licht doch genau gehört. Indessen ist es für eine Neonröhre nicht so einfach, sich selbsttätig einzuschalten, wie für eine alte Remington, aufdringlich und allwissend zu schwatzen.
Zerstreut antwortete die Hilfsredakteurin nach einem eher flüchtigen als wie gewünscht prüfenden Blick auf die Säzzerin mit einem Vergleich zwischen dem verhüllten Sinn, der in der Schriftsprache zu Typen erstarrten Wörter, ganz offensichtlich einer der Begriffe, mit denen sie sich hatte herumschlagen müssen, und den die Gestalt der Säzzerin verhüllenden Kleidung. Für eine eingehende Überprüfung müsse sie die Säzzerin nackt sehen, sagte sie, in der Hoffnung, damit das Gespräch beenden zu können und immer noch auf der Suche nach Milch.
Die Vorstellung eines Stripes im Satzraum brachte die ständig weiter palavernde Remington so durcheinander, daß sich zwei ihrer klapprigen Typen mit einem lauten wie endgültigen Klicken verhedderten. Für einen Moment herrschte Stille, die Hilfsredakterin nach Milch spähend, die Schreibmaschine mit ihren Typen beschäftigt, so handelte es sich um das „7/“ und das „Hh“, die Säzzerin überlegend, ob sie die Bemerkung der Hilfsredakteurin als Aufforderung verstehen sollte.
Dann murmelte die Hilfsredakteurin weiter von den verhüllenden, weil verallgemeinernden Typen. Nicht die Schrift, sondern der Druck mit Hilfe von Typen, von Schreibmaschinen, habe das Wort zu Wörtern, den Satz zu Stereotypen gemacht, der überall vervielfältigt werden konnte, typisch bis zur Beliebigkeit, zur Austauschbarkeit, zur Unwirksamkeit. Die Schreibmaschine hörte es mit Hektik und Ärger. Hätte sie gekonnt, wäre sie rot geworden, denn sie wußte, daß diese Worte, welche die Hilfsredakteurin eher naiv zitierte, als aussprach, sie und ihresgleichen einbezogen. Doch war sie durch „7/“ und „Hh“ zu sehr gehandicapt.
Die Säzzerin, als diejenige, die von allen dreien am meisten mit Typen zu tun hatte an der Setzmaschine, verstand nur halb und unterbewußt, hörte sie doch genauso zerstreut auf die angelesenen Worte der Hilfsredakteurin, wie dieses auf die Seufzer der Programmiererin von Sätzen.
Die Neonröhre, von oben unter der Decke, sah und lauschte exakt, aber vergeblich. Noch gelang es ihr nicht, sich einzuschalten.
Die Hilfsredakteurin suchte weiter nach Milch, dabei noch immer von dem Artikel sprechend, den sie hatte schrieben müssen:
Wie einengend die einheitliche Orthographie sei, wie kreativtötend das passive Lesen vorgegebener Texte, wie sich, verhüllt und unbemerkt hinter derlei Gesetzen stets die Interessen der Herrschenden verbargen.
Das nun war ein Wort, daß der Säzzerin paßte, das kannte sie, das wußte sie, das stimmte mit ihrer Wellenlänge überein, das elektrisierte sie, als habe man sie angeschaltet. Die Schreibmaschine, deren „Hh“, wie Herrschende eher abgenutzt war, winkte gelangweilt ab, sie kannte das Wort, sie wußte es besser. Die Säzzerin aber drehte sich um, sah die Hilfsredakteurin an, die auf der Suche nach dem Trübemittel ihr den Rücken zukehrte. Und als habe die Säzzerin die ganze Zeit deren fragmentarischen Überlegungen zugehört, zischte sie der Hilfsredakteurin zu, daß es durch Computer nie gelingen werde, das revolutionäre Subjekt zu befreien.
Es war dies, die Neonröhre kannte ihn, ein wenig gesprochener Satz in den Redaktionsräumen, in Frageform genauso wie in Aussageform, ja selbst im Imperativ wurde er gehandelt. Und beinahe typisch reagierte die Hilfsredakteurin, indem sie geltend machte, wieviel größer und umfangreicher das Potential desjenigen sei, der über Computer verfügte. Sie wiederholte die oft gemachten Feststellungen, daß jeder Schüler heute 100mal mehr Daten verarbeiten könne als das Pentagon mit den plumpen Geräten der 60er Jahre. Sie führte das bis zur Verblassung immer wieder ausgekramte Argument an, eine jedem zur Verfügung stehende Datenverarbeitung befreie von den Bürokratien, die den Bürger vorverarbeiteten. Ja, sie schwärmte sogar von der angeblich mehrfach gesteigerten Kommunikationsmöglichkeit und wollte nichts hören von der Säzzerin Sorgen.
Schließlich, machte diese geltend, wisse sie aus eigener Anschauung, was es heiße, einen ganzen Tag hinter dem Computer zu sitzen. Klar habe sie manchmal Anwandlungen, statt der aus der Redaktion ankommenden Texte Eigenes in den Bildschirm zu hauen, sicher würde sie sich oft danach sehnen, die Texte nach eigenen Einfällen zu modeln. Ja, sie würde gerne, sagte die Säzzerin und das Funkeln in ihren Augen zeigte, daß sie zumindest für diesen Moment ihre Speckrollen vergessen hatte, lieber Nachrichten in die Maschine geben, die - als Gegengift sozusagen - von dem kündeten, was hätte stattfinden sollen. Nur käme das nie in Wirklichkeit. Und sei auch sinnlos, solche Nachrichten zu erfinden: „Die Weltbank strebe den Schuldenerlaß für die ausgepowerte dritte Welt an“, „Die Informatiker beschlössen, nur noch Geige zu spielen“ usw... Schädlich wären solche selbstgemachten Wunschmeldungen überdies. Denn sie seien nur die verlängerte Phantasie der Nachrichten-Berichte -Informationen-Bit Überfluteten. Ja, und die Säzzerin schielte wehmütig ihrem dummen Composer zu, das sei es doch, was die Herrschenden wollten: Daß jeder wählen könnte, welche Nachrichten und wie die Darstellung ausfiele - bis zur totalen Beliebigkeit, hinter der die Macher alles versteckten... Noch nicht einmal gebändigt von den primitivsten Regeln der Orthographie sei Demokratie, entstanden mit der Einführung einer für alle verbindlichen Schrift, aufs äußerste gefährdet.
Die Hilfsredakteurin schüttelte den Kopf. Sie wollte darstellen, wie engstirnig-fesselnd gerade diese Orthographie-Gesetze auf die Entfaltung des Einzelnen sich auswirkten. Sie wollte erklären, daß jede anarchistische Revolution ansetzen müsse bei der Befreiung der Sprache. Sie wollte beweisen, logisch-formal, daß gerade die EDV hierzu die besten Voraussetzungen böte.
Jedoch kam der Hilfsredakteurin der plötzlich erfaßte Wunsch nach einem prüfenden Blick in die Quere. Mitten in ihrer Verteidigung des Computers für Jede(r)mann/-frau tat sie jenen Blick auf den Körper der Säzzerin, was sie später bereute. Denn damit rutschte plötzlich der weitere Diskurs in den Konjunktiv, wurden Für und Wider zu den Rechnern fiktiv. Gegen die Jeans und Blusen, denn auch die Säzzerin den forschenden Blick verfallen erwidernd, vergaß ihren Widerstand. Ihr Widerstand gegen der Hilfsredakteurin Schwärmerei für die neue Sprache des elektronischen Zeitalters, ohne Schreibmaschinen und mit künstlichem Licht war gespeist worden aus der Angst vor einer gespenstischen, durch unfühlbare Schalter gefüllte Welt. Die Säzzerin hatte Furcht gehabt, daß die von ihr täglich neun Stunden lang praktizierte Verkabelung am Composer, der sie die vermeintliche Zerstörung ihrer Schönheit verdankte, zur alltäglichen Wirklichkeit werden würde. Was sie bislang als schwere, exklusive Arbeit am Fließband verstanden hatte, das Setzen, sollte, so hatte sie die Hilfsredakteurin verstanden, bald allgemeiner „Zeit„-„Vertreib“ jedermanns werden. Es würden Programme entworfen für die Liebhaber der Kunst, „Rembrand“ für die Maler, Software bereitgestellt für die Leser, „Kleist“, „Büchner“, „Flusser“, aus denen die Literaturfreunde sich eigene Texte und Kompositionen zusammenstellen könnten.
Die Säzzerin hatte der Hilfsredakteurin mit ihrer Aufforderung, sich durch Verunstaltung durch die Arbeit am Composer zeigen wollen, für wie gefährlich sie die Elektronisierung hielt.
Die Hilfsredakteurin, anfangs gekommen, Milch für ihren Kaffee zu suchen, fand jedoch, gegen Blusen und Jeans, eine viele köstlichere Milch, fand die Säzzerin schön. Rasch hatte sie die Tasse abgestellt, dorthin, wo noch vor kurzem die Remington gestanden hatte, die Hände frei zu haben für die Säzzerin.
Welche erschrak. Welche ob der Hilfsredakteurin plötzlicher Aufmerksamkeit für einen Moment erschrak. Für einen Moment erschrak die Säzzerin den Schrecken, der der Erkenntnis vorausgeht.
Und, soviel ist sicher, sie erschrak nicht darüber, daß künftig Schreibmaschinen nur noch Objekt sein würden in Chip -Geschichten, wie dieser. Viel zu zielstrebig waren die kaffeeleeren Hände der Hilfsredakteurin geworden.
Zielstrebig und warm, als die Schreibmaschine verschwunden war, und die Neonröhre sich, wie immer, eingeschaltet haben wird.
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