: ANGESCHLAGENER GURU
■ Bhagwan zurück in Puna / Ressentiments in der indischen Öffentlichkeit und der innere Feind Aids
Die Hitze des Tages ist erloschen, knapp 3.000 Menschen sitzen mit verschränkten Beinen in der Buddhahalle und wiegen sich im Takt der Musik. Sanfter Synthi-Pop der Marke Georg Deuter. Viele haben die Augen geschlossen und eine meditative Stimmung erreicht. Dann erstirbt die Musik und ein blitzeblanker Rolls-Royce fährt hinter der Bühne auf. Nach Sekunden der Spannung erscheint Bhagwan auf der grünen Marmorbühne, gekleidet in eine knöchellange schwarze, mit Silberfaden durchwirkte Luxusrobe. Mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, die Hände zum indischen Gruß vor dem Kinn zusammengelegt, bewegt sich der Meister mit gesetzten Schritten auf einen cremefarbenen Sessel zu. Im Halbdunkel der Halle haben seine Schüler ebenfalls die Hände zum Gruß erhoben und neigen ihre Köpfe bis auf den Boden. Ein Scherz des Meisters lockert die Spannung, löst Jubel aus.
Seine mit Anweisungen an die schüler verbundenen philosophischen Diskurse würzt der Guru mit spätpubertären Witzen über Mick Jaggers Geschlechtsteile und den Papst. Bhagwan ist der Meister, wenn auch ein angeschlagener. Seine Gebrechen, starkes Asthma und eine Stauballergie. Dies und Morddrohungen zwingen zu strengen Vorkehrungen: Die Besucher der Buddhahalle dürfen weder durch Schnupfen oder Husten noch Parfüms oder andere Gerüche auffallen. Am Eingang sind nicht nur die Gebote für den Besuch eines indischen Tempels zu beachten - Schuhe ausziehen, gesittete Kleidung, darüberhinaus wird man/frau verschiedenen Kontrollen wie beim Einchecken in einen internationalen Linienflug unterzogen - Taschenkontrolle, Riechprobe, Metalldetektor, Körperfilze. Bhagwans Heimkehr
Nach mehrwöchiger Haft und anschließender Abschiebung aus den USA im November 1985 waren Bhagwan und seine engsten Vertrauten zu einer einjährigen Odyssee rund um die Welt gezwungen worden. Die Suche nach einer neuen Bleibe führten den Guru unter anderem nach Nepal, Griechenland, in die Schweiz, nach Schweden, England, Irland, Uruguay, Jamaica und Portugal, bis er im Juli 1986 im Haus eines reichen Fabrikanten in Bombay vorübergehend Unterschlupf fand. Insgesamt hatten ihm 21 Länder, teils auf Druck der Vereinigten Staaten hin, eine Aufenthaltserlaubnis verweigert. Seine jahrelange Privatsekretärin Ma Sheela hatte sich bereits im September 1985 aus Oregon abgesetzt und war mit 20 Begleitern nach Deutschland geflohen. Ihr wird vorgeworfen, Millionenwerte unterschlagen zu haben. „Macht ist wie eine Droge. Sheela ist durchgedreht und hat versucht, Bahgwan zu vergiften“, sagt die Deutsche Ma Nandan. Sheela wurde von der deutschen Polizei verhaftet und in die USA ausgeliefert. Zur Zeit wartet sie im Gefängnis auf ein Gerichtsverfahren.
Bhagwan hatte schließlich keine andere Wahl, als sein Heimatrecht in Indien geltend zu machen. Am 4. Januar 1987 kehrte er zurück an die Stätte seiner Erfolge, den Ashram (religiöser Versammlungsort) in der Industriestadt Puna, etwa 150 km von Bombay entfernt. Dort lehrt er weiter. Und die Massen strömen wie nie zuvor. Besuch im Ashram
Auf der Straße zum Ashram herrscht von morgens bis abends Betrieb. Fliegende Händler bieten bunte Hosen und T-Shirts, Ketten aus Korallen und Halbedelsteinen, Kokosnüsse, Orangen und Schnittblumen feil. Hunderte von abgestellten Fahrrädern reihen sich an der Außenmauer des Ashrams und benachbarten Gebäude aneinander. Mindestens drei kräftige Kerle halten mit ihren Trillerpfeifen den Andrang vor dem messingbeschlagenen Holztor unter Kontrolle. Lieferwagen quetschen sich durch die Menschenmenge. Schätzungsweise 3 -4.000 Schüler, mehr als die Hälfte aus Deutschland, besuchen heute täglich den Ashram.
Eine rote Meditationskarte mit dem Bild des Gurus für zehn Rupien (1,30 DM) täglich gewährt in Zusammenhang mit einem negativen Aids-Befund Einlaß ins Allerheiligste. Im Garten sitzen meditierende Sannyasins (Schüler) auf großen Steinen, verliebte Pärchen umarmen sich unter gewaltigen Bambusstauden. Die Buddhahalle ist erfüllt von amerikanischer Rockmusik. Hunderte von Menschen bewegen sich nach den Anweisungen der Therapeuten im Takt auf und ab. Im Schönheitssalon sitzen braungebrannte Sannyasins unter der Trockenhaube, andere schlendern durch die moderne Boutique.
Der Ashram besitzt außerdem einen Buchladen, ein Pressebüro und eine Computerwerkstatt. Hippies und Morgenlandentdecker, die früher die Masse der Sannyasins ausmachten, sind heute selten im Ashram zu finden. Der aufstrebende Mittelstand in den besten Jahren (30 - 40) bestimmt das Bild. Architekten, Disignerinnen, Handwerker und Geschäftsleute erholen sich hier von den Strapazen des Karrierewettbewerbs, pflegen ihre verwundeten Seelen.
Im Aids-Zeitalter aber ist das Lustprinzip nicht mehr uneingeschränkt gültig. Seit Jahren hat sich die Kommune strengen Regeln unterworfen, um die Verbreitung der tödlichen Krankheit in den eigenen Reihen zu verhindern. Kondome und Plastikhandschuhe sind unentbehrliche Attribute des Sannyasin-Sex. Der große Meister hat seine eigenen Ansichten über die sogenannte Jahrhundertseuche. Im Diskurs vom 20. Januar 1988 sprach er über den Zusammenhang zwischen Homosexualität und Aids (zitiert nach Rajneesh Times): „Homosexuelle haben die Krankheit Aids geschaffen, denn sie sind verdorben. Heterosexualität erschafft Leben, Leben für Eure Kinder und ein göttliches Leben für euch selbst. Homosexualität ist absolut unfruchtbar, sie erschafft überhaupt gar nichts ... Und die an Aids erkrankten Menschen müssen ausgesondert werden. Sie sollten in ihren eigenen kleinen Städten leben, wo alle an Aids leiden: die Ärzte, Schwestern, Patienten und Wissenschaftler. Dann gibt es keine Gefahr mehr.“ Kulturelle Dissonanzen
Kaum war der Meister in seine alten Gemächer eingezogen, als der Polizeichef von Puna an das massive Holztor klopfte und eine Verfügung überbrachte, die Bhagwan zum sofortigen Verlassen der Stadt aufforderte. Seine Anwälte konnten einen Aufschub von drei Monaten erreichen und man schloß einen Kompromiß. Die Leitung der Kommune akzeptierte alle Auflagen der Behörden: Die Polizei hat jederzeit Zutritt zum Ashram, die Zahl der Besucher soll auf 1.000 pro Tag beschränkt bleiben, aber es sind mehr als je zuvor. Im Ashram sind Feuerwaffen, Alkohol, Zigaretten und sonstige Drogen untersagt, desgleichen „Obszönitäten“ und „provokative Reden, die die Gefühle anderer verletzen könnten“. Die Leitung des Ashrams soll sich innerhalb der Drei-Monats -Frist nach einem anderen Ort außerhalb Punas umsehen. Wenig später meldete sich Vilas Tupe, Anführer der angeblich 500 Mann starken radikalen Hindugruppe „Hindu Ekta Andolan“ zu Wort. Tupe war bereits 1980 aufgefallen, als er ein Messer nach dem Erleuchteten geworfen hatte. Nun forderte er den Guru ultimativ auf, binnen 48 Stunden die Stadt zu verlassen. Tupe: „Sonst wird er einen höhen Preis bezahlen müssen.“
Tupe hat seine Drohung nicht wahr gemacht. Die Spannungen sind abgeklungen. Viele Puneser haben gemerkt, daß die 3.000 bis 4.000 Ausländer, die sich zur Zeit wegen Baghwan in Puna aufhalten, eine Menge Geld bringen. Das Magazin 'Puna Digest‘ beziffert den Beitrag des Ashrams zum Wirtschaftsleben der Stadt auf täglich 100.000 Rupien. Den gleichen Betrag geben Bhagwans Anhänger noch einmal für Mieten und Einkäufe in der Stadt aus. Die Summe - 2 Millionen Rupien oder 780.000 DM pro Monat, läßt die Stadtoberen sicher nicht unbeeindruckt. Hoteliers, Restaurantbesitzer und Hausvermieter haben denn auch in Zeitungsanzeigen ihre Hochachtung vor Bhagwan kundgetan. Im Koregaon-Park, einem Villenviertel im Nordosten der Stadt, hat rund um den Ashram ein Bauboom eingesetzt, Betonappartements für wohlhabende Ausländer.
„Ich persönlich habe nichts gegen Bhagwan“, erklärte der Polizeichzef Misra der lokalen Presse, „aber ich will sichergehen, daß sich die Probleme der Vergangeheit nicht wiederholen.“ In den ersten sieben Jahren der Anwesenheit Bhagwans in Puna hatte das verhalten vieler Europäer und Amerikaner zu Ärgernissen und Verstimmung unter den Einheimischen geführt. Einige Sannyasins haben die interkulturelle Aggression bereits am eigenen Leibe erfahren müssen. Berichte über Beschimpfungen auf nächtlichen Straßen, auch über Raubüberfälle machen die Runde. Die Leitung des Ashrams versucht vorzubeugen und lädt alle Neuankömmlinge zum sogenannten „Arrival-Meeting“ ein, um sie über indische Sitten und Empfindlichkeiten aufzuklären.
Europäer und Amerikaner in Unterhemd und Sporthose, Frauen mit wippenden Brüsten unter dünnen T-Shirts sind auch heute keine Seltenheit im Straßenbild Punas. Unter konservativen Puna-Bürgern wächst die Furcht, die Ausländer könnten die Moral der Jugend verderben oder gar die gefürchtete Aids -Krankheit einschleppen. Ressentiments in der indischen Öffentlichkeit. Baghwans Kommune muß sich gegen äußere und innere Feinde schützen.
Rainer Hörig
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