Die giftgrüne Insel

Der Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen für den maroden irischen Staatshaushalt. Da man die Besucher kaum mit günstigen Wetterprognosen, immerblauem Himmel oder kilometerlangen Sandstränden anlocken kann, propagiert die Fremdenverkehrswerbung das Bild des unverfälschten Naturreservats: „Auf der Grünen Insel findet man noch kristallklare Bäche und Flüsse. Umweltverschmutzung ist hier ein Fremdwort.“ Soweit die Werbeschrift „Die grünen Seiten '87“ des Fremdenverkehrsverbandes. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Wasserverschmutzung durch Farm- und Haushaltsabfälle sowie unbehandelte Fabrikabwässer führten dazu, daß 1987 nicht weniger als 120 Fälle größerer Fischsterben gezählt wurden.

In Irland gibt es nur zehn Wasserschutzbeamte. Ihre Benzinspesen sind so niedrig, daß jede Besichtigung eines „Tatorts“ genau überlegt werden muß. Umweltsünder haben ohnehin wenig zu befürchten. Zwar soll die Höchststrafe von bisher 50 Mark vertausendfacht werden, doch gehören die für die Strafverfolgung verantwortlichen Bezirksverwaltungen selbst zu den größten Umweltverschmutzern: Sie leiten die Haushaltsabwässer in den meisten Fällen direkt in die Gewässer.

So überraschte die Feststellung der Umweltbehörde im letzten Jahr nicht, daß 50 Prozent des Trinkwassers kontaminiert sind. An Irlands Stränden ist das Bild ähnlich düster: eine Untersuchung der „Irish Times“ ergab, daß nur zehn Prozent der Strände sauber sind.

Gerade das rapide Wachstum der chemischen Industrie stellt Irland vor erhebliche Probleme. Im ganzen Land gibt es keine Sondermüll-Deponie. Pläne dafür sind jedesmal am Widerstand der betroffenen Anwohner gescheitert. So wird der Giftmüll weiterhin auf offener See verbrannt oder nach Großbritannien exportiert - oder er „verschwindet“ ganz einfach. 1984 sind in Irland 17,8 Prozent des Giftmülls (4.000 Tonnen) abhanden gekommen. Ein Teil davon ist auf Hausmüll-Deponien wieder aufgetaucht. Die illegale Giftmüll-Beseitigung wird vermutlich noch einmal stark zunehmen, wenn die britische Regierung ihre Ankündigung wahr macht und die Müllimporte aus Irland einschränkt.

Von der vielgerühmten irischen Luft ist in Dublin schon heute nichts zu spüren. Die Häuser werden mit offenen Kaminen beheizt, was nicht nur unwirtschaftlich ist, sondern auch die Kohlendioxid-Belastung in die Höhe treibt. Die Werte für Rauchemission in der irischen Hauptstadt entsprechen denen des Großraums London.

Versuche der irischen Regierung, für besonders betroffene Stadtteile den Gebrauch rauchloser Kohle vorzuschreiben, sind bisher am Widerstand der mächtigen Kohlenhändler-Lobby und am fehlenden Geld gescheitert. Die Regierung müßte die teurere rauchlose Kohle subventionieren. Außerdem weigert sich die irische Regierung, das EG-Abkommen über eine Senkung des Schwefeldioxid-Ausstosses (minus 30 Prozent ab 1993) zu unterzeichnen. Im Gegenteil: im letzten Jahr haben die staatlichen Elektrizitätswerke an der Westküste ein Kohlekraftwerk in Betrieb genommen, das 80.000 Tonnen Schwefeldioxid im Jahr ausstößt. Das Kraftwerk „Moneypoint“ war das teuerste Bauprojekt in der irischen Geschichte, doch auf Filteranlagen hat man verzichtet. Angeblich hätten die Filter den Strom um 20 Prozent verteuert.

Die Reaktion der irischen Regierung auf die Umweltprobleme ist halbherzig und widersprüchlich. Das Argument „Sicherung von Arbeitsplätzen“ hat absoluten Vorrang. Zwar fordert die Regierung vehement die Schließung der britischen WAA Sellafield (Windscale) - die Irische See ist mittlerweile das am stärksten radioaktiv belastete Gewässer der Welt -, schließt aber gleichzeitig ihre eigene Umweltbehörde aus finanzielen Gründen. Der „Umwelt-TÜV“ für öffentliche und private Großprojekte, der seit letztem Sonntag in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft vorgeschrieben ist, wird von der irischen Regierung zur Farce gemacht: Das Umweltministerium hat lediglich in einem Rundschreiben an die Bezirksverwaltungen auf die neuen Richtlinien hingewiesen. Rechtlich bindend ist dieses Rundschreiben nicht, und die Auslegung bleibt den einzelnen Bezirksverwaltungen überlassen. Das gilt auch für deren eigene Bauprojekte.

Die Aussichten auf eine Änderung der Politik zugunsten der Umwelt sind schlecht. Das Umweltbewußtsein rückt in einem Land, das die Folgen einer verfehlten Wirtschaftspolitik ausbaden muß, verständlicherweise in den Hintergrund. Die irische Fremdenverkehrszentrale zeigt sich derweil besorgt nicht jedoch über den Grad der Umweltverschmutzung in Irland, sondern über die Berichte darüber im Ausland.