: Underdogs und Helden aus den Slums
■ „Die Boxer und das Kino“: Eine 14teilige TV-Serie im NDR 3. Vom Intellektuellen-Hobby zur „Herrschaft des Terrors“ / Leider fehlen in der NDR-Reihe die besten Beispiele für den Niedergang dieser Sparte
Max Schmeling ging 1921 eine Woche lang fast täglich ins Kino, sah sich die Bilder vom „Jahrhundertkampf“ Dempsey Carpentier an, wurde später Boxweltmeister und schnürte selbst im Filmstudio die Lederfäustlinge, ebenso wie Chaplin und Cagney, Buster Keaton und John Wayne, de Niro als Jake La Motta, Elvis als Kid Galahad. Die Paarung Theo Lingen Josef Meinrad kam in den Ateliers zustande, privatim gingen Fritz Kortner und Curt Bois ins scharfe Sparring.
NDR 3 präsentiert ab morgen über zweieinhalb Monate eine
14teilige TV-Reihe von Boxfilmen - ein bislang einmaliges Unternehmen, eine „Annäherung an das Phänomen von einer anderen Seite“, wie der verantwortliche Redakteur Jochen Wolf sagte.
Vor achtzehn Jahren hat Hans C. Blumenberg das Thema „Sport im Spielfilm“ schon einmal in einem Buch aufgearbeitet - der Boxsport und seine alten Veteranen dominierten eindeutig: Das lag sicher daran, daß sich analog zur rasanten Aufwärtsentwicklung der prizefights als Publikumssport, auch der Film den Heroen des Rings annahm. Inzwi
schen gibt es über zweihundert Spielfilme, in denen der Gong schlägt.
Frühe Stummfilme setzten den Weltmeister des Rings als guten Menschen von Hollywood ein: das genügte. Verfremdungen kamen erst später: boxing and crime, dunkle Gestalten in Hallenkatakomben, die Verfilmung der unendlichen Geschichte vom underdog aus Ghetto oder Slum, der sich hochboxt, oben bleibt, tieffällt. Der Ring wurde die Bühne der Komödianten, auch für ein Musical („Swing fever“, ausgerechnet von 1933).
Das Publikum mochte diese Inszenierungen, denn abgesehen von der Popularität in vielen Ländern fand das Berufsboxen ja sogar intellekturelle Anhänger, und Schlachtenbummler wie Brecht, Flechtheim, Kortner, fand seine Chronisten in Hemingway, Shaw, Lardner und Jack London.
Mittels fauler Kämpfe und fauler Fighter hat sich das Preisboxen dann selbst umgebracht. Dem Volke wurden zudem neue Disziplinen verordnet, Golf, Fußball und Tennis. Zuzeiten von Boris und unserer Steffi ist Boxen ein anachronistischer Sport geworden, Faustkampf scheint nur zu der Nachkriegstrümmerdepression zu passen; es gilt als inhuman, „den Verstand zu gebrauchen, um den des Gegners zeitweise auszulöschen“ (Time magazine). Kein Themen auch für Sponsoren, dieser Anachronis
mus. Aber ihre Gefolgschaft - wenn auch enger zusammengerückt - hat die „sweet science“ nach wie vor, nun auch neue Literaten, Wondratschek und Joyce Carol Oates (die einen klugen Essay „Über Boxen“ verfaßte). Beim WM-Kampf von Tyson war ganz Hollywood da, Paul Simon, Jack Nicholson, Jesse Jackson.
Der Film als Genre hat die Problematik und Niedergang dieses Sports eingefangen - die Zerrissenheit und Ästhetik, die Brutalität und Eleganz.
Die besten Box-Filme fehlen aber leider in dieser NDR 3 -Reihe, weil andere Sendeanstalten die Rechte erworben haben. Von den zehn besten im „Ring“ von 1978 (Untertitel: „The bible of boxing“) aufgeführten Boxfilmen findet sich in der Fernsehreihe leider keiner wieder. Nicht John Houstons „Fat City“ (1972), ein beklemmendes Beispiel der Gewalttätigkeit der Branche, nicht „Die Faust im Gesicht“ (1962) mit Anthony Quinn, nicht Scorceses „Raging Bull“ (1980) mit de Niro, und nicht „Ring frei für Stoker Thompson“ (19499 von Robert Wise, eine fast dokumentarische Studie des Milieus, und auch nicht die Filme über den legendären ersten schwarzen Schwergewichts-Weltmeister Jack Johnson.
Sylvester Stallones Rocky-Reihe ist dagegen nur comic strip - mit Boxen hat das nichts zu tun. Die „Herrschaft des Terrors“, wie die Zeitung „Herald Tribune“ Tysons Sportausübung nannte, ist ganz anders. Aber da sind wir schon wieder bei der „sweet science“, denn einer wird doch kommen, den Mann ohne Hals zu schlagen, oder nicht, und wäre das nicht ein Filmthema...?
Werner Skrentny/gin
Der erste Film dieser Reihe lief gestern an: Mohammed Ali, der Größte. Der nächste Film läuft nächsten Montag, siehe Kasten).
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