Heraus aus der „Geheimkiste“

COCOM: Friedens- und Konfliktforscher fordern einen Abbau der Handelssperren gegen die Ostblockstaaten / Das Kontrollsystem soll auf eine Vertragsbasis gestellt werden  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Das politische Klima für eine Reform der Exportkontrolliste der westlichen Welt im sogenannten Osthandel sei heute günstig, meinte der US -Wirtschaftsreferent der Hessischen Stiftung für Friedens und Konfliktforschung (HSFK), Reinhard Rode, auf einer Pressekonferenz der Stiftung in Frankfurt. Denn COCOM sei ein „Relikt aus der Zeit des kalten Krieges“ und somit insbesondere seit der Etablierung der Reformpolitik in der Sowjetunion - historisch überholt.

Die Friedens- und Konfliktforscher fordern deshalb die Regierungen und Parlamente der westlichen Welt auf, die Liste der Industriegüter, die bislang dem COCOM-Embargo unterliegen, um mindestens 40 Prozent zu kürzen. Rode: „Die Liste ist zu lang und der Kontrollapparat zu schwerfällig. Die Reformen im Osten erfordern neue Geschäftsgrundlagen für den Osthandel.“ Eine Kürzung der COCOM-Liste ist von den Mitgliedsstaaten der EG bereits mehrfach diskutiert worden, doch bislang sperrten sich die Vereinigten Staaten gegen jede Veränderung des Status quo. Dabei - so die Auffassung der HSFK - habe die COCOM-Liste im Bereich der industriellen Güter keine wirkliche sicherheitspolitische Brisanz mehr. Auch die USA selbst haben in der Vergangenheit mehrfach die COCOM-Exportkontrolleinrichtungen umgangen, vor allem im Geschäft mit China. So sollen von den US-Amerikanern selbst entwicklungsfähige Waffensysteme an das kommunistische Reich der Mitte geliefert worden sein.

Doch in Sachen Handel mit den Staaten des Warschauer-Paktes hätten die USA das COCOM-Abkommen wiederholt als „politisches Strafmittel“ (Rode) mißbraucht, etwa während der „Polen-Krise“. In der „neuen Entspannungsphase“ sei es deshalb vor allem für die Westeuropäer ein Gebot der Stunde, diesen Prozeß zum eigenen Vorteil zu nutzen. Ohnehin gebe es nach den jüngsten Großabschlüssen im Osthandel - Airbus und Boeing - keinen vernünftigen Grund mehr, zum Beispiel mittelständische deutsche Unternehmen schlechter zu behandeln als den „großen Subventionsbetrieb“ Airbus Industries.

Genau diese mittelständischen Unternehmen scheiterten mit ihren Exportabsichten bislang an den COCOM-Bestimmungen. Die numerischen Steuerungsteile, wie sie etwa im Maschinenbau inzwischen zum Produktionsalltag gehören, verhinderten bislang einen Verkauf dieser Maschinen nach Gorki oder nach Leipzig, denn diese Steuerungsteile könnten unter Umständen auch in militärischen Anlagen zum Einsatz kommen. Dennoch sei die Nachfrage nach westlicher Technologie, vor allem in der Konsumgüterindustrie, und nach Produkten der mittleren Gebrauchstechnologie in den Ostblockstaaten ungebrochen. Sollte die COCOM-Liste im Bereich der Industriegüter tatsächlich gekürzt werden, hätte das allerdings nicht zwangsläufig eine Ausweitung des Osthandels zur Folge, denn den Ostblockstaaten fehlt es an Devisen. Deshalb sieht die HSFK den technologischen Vorsprung des Westens gegenüber dem Osten auch keinesfalls gefährdet, denn die „Sowjetisierung“ der westlichen Technologien sei schwierig, zeitraubend und vor allem teuer. Spitzentechnologien würden von den westlichen Industrieunternehmen ohnehin nicht in den Osten verkauft, da diese Technologien auf dem westlichen Markt wesentlich effektiver zu „vermarkten“ seien.

Eine Reduzierung der COCOM-Liste sei deshalb vor allem ein Entspannungssignal in Richtung Osten und Motivation für den Abschluß mittelfristiger Geschäfte. Um hier glaubwürdig vorgehen zu können, empfehlen die Friedens- und Konfliktforscher auch die Auflösung des alten „Geheimclubs COCOM“ (Rode), in dem bislang die Regierungen der westlichen Staaten das Sagen hatten. Die COCOM-Kontrolle müsse „herauskommen aus der Geheimkiste“ und der parlamentarischen Kontrolle unterstellt werden. Rode: „Parlamentarische Kontrolle stellt sicher, daß es bei der aus Sicherheitsgründen unbedingt erforderlichen Minimalkontrolle bleibt, weil diese gegen das Exportinteresse legitimiert werden muß. Amerikanische Kontrollexzesse können dadurch gemäßigt werden, weil sich dann auch die USA der COCOM -Disziplin zu unterwerfen haben.“

An eine völlige Abschaffung der COCOM-Liste auch für Produkte aus dem militärischen und dem nuklearen Bereich glauben die Friedens- und Konfliktforscher allerdings nicht. Das sei „Science-fiction“ (Rode) und vielleicht in fünfhundert Jahren diskutabel.