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Wie das HIV-Virus in eine Unfallakte kam

Eine Blutprobe, eine Brandstiftung und ihre weitreichenden Folgen / Neuer Fall im bayerischen Aids-Alltag / Polizist verweigert im Rahmen einer Ermittlung Zeugenvernehmung aus Angst vor einer Ansteckung / Aids-Vermerk stand in den Ermittlungsakten  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Tatort Bayern: Ein Beamter des Münchner Polizeipräsidiums weigerte sich, im Rahmen einer Ermittlung wegen Brandstiftung zwei Zeugen zu vernehmen, „weil sie Aids haben“. Nachdem in Nürnberg im letzten Jahr ein Angehöriger der US-Streitkräfte wegen teilweise ungeschützten Geschlechtsverkehrs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und erst vor zwei Wochen ein Staatsanwalt in Kempten versucht hat, den Geschlechtsverkehr zwischen einem HIV -Infizierten und seiner darüber informierten Freundin als „sittenwidrig“ anzuklagen, hat der Umgang mit der Krankheit Aids in Bayern eine neue Schlagzeile.

Der Fall selbst liegt über ein Jahr zurück, wurde aber jetzt durch den Bericht des bayerischen Datenschützers bekannt. Die Kriminalpolizei in Weilheim (Oberbayern) ermittelte Ende 1986 gegen einen Hausbesitzer wegen fahrlässiger Brandstiftung. Dazu sollten zwei Bekannte des Eigentümers in München vernommen werden. Auf dem Amtsweg wandte sich die Kripo Weilheim an das Münchner Polizeipräsidium und bat um die Einvernahme der Zeugen. Der zuständige Kriminalobermeister Hundhammer ließ sich aber erst einmal die kriminalpolizeiliche Personenakte über den Zeugen Michael D. kommen. In ihr sind mehrere Verkehrstrafsachen zwischen 1983 und 1985 aufgeführt. Aus diesen Unterlagen geht hervor, daß Michael D. im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts auf Unfallflucht dem Arzt bei einer Blutprobe mitgeteilt hat, daß er an Aids erkrankt sei. Dieser Hinweis wurde trotz ärztlicher Schweigepflicht weitergegeben und landete so in den polizeilichen Unfallakten.

Mit diesen Unfallakten konfrontiert, weigerte sich der Beamte Hundhammer, die beiden Zeugen zu vernehmen. Allenfalls wolle er sie telefonisch befragen, teilte er der Kripo in Weilheim mit. In dem Schreiben, das am 1.12.86 von der Polizeidirektion München an die Kripo Weilheim geschickt wurde, heißt es: „Herr Hundhammer lehnte eine Zeugenbefragung der Herren unter Hinweis auf deren Erkrankung (Aids) ab, da er sich der Gefahr einer Ansteckung nicht aussetzen wollte.“ Auch diese Mitteilung Hundhammers mit dem Hinweis auf die HIV-Infektion der Zeugen fand Eingang in die Akten: Sie steht jetzt in den polizeilichen Unterlagen zur Brandstiftung. Hundhammer hat gleichzeitig aus einem Infizierten zwei gemacht. Aus der engen Bekanntschaft der beiden Zeugen folgerte er, daß sie beide infiziert seien. Michael D. und sein Freund erfuhren von diesen Vorgängen nichts. Erst ein Anwalt, der in dem Verfahren um die Brandstiftung beauftragt war, informierte sie nach seinem Aktenstudium. Michael D. wandte sich daraufhin an den Landtagsabgeordneten der Grünen Hartmut Bäumer, der am 15.1.88 eine schriftliche Anfrage im Landtag stellte. Aus der Antwort geht hervor, daß selbst die Staatsregierung das Vorgehen der Polizeibehörde nicht korrekt findet.

Daß der Vermerk des Beamten Hundhammer in die Unterlagen zur fahrlässigen Brandstiftung geraten ist, hat für die Betroffenen zur Folge, daß der Hinweis auf die HIV-Infektion auch im Datenpool der Versicherungsunternehmen gelandet sein könnte. Schließlich wird sich die Brandschutzversicherung auf dem Wege der Akteneinsicht Informationen für mögliche Regreßansprüche beschafft haben. Zugriff zu solchen Akten haben auch Nebenkläger und verfahrensbeteiligte Rechtsanwälte. Für den SPD-Landtagsabgeordneten Warnecke, der den Vorgang beim bayerischen Datenschützer meldete, ist der ganze Vorgang „in höchstem Maße sensibel“. Er geht davon aus, daß die Versicherer solche „Zufallsfunde“ wie den Hinweis auf Aids verwerten. Noch dazu, wenn bekannt ist, daß die gleiche Firma auch mit Poli cen für Lebensversicherungen handelt. Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Sebastian Oberhauser, hat in einer Sitzung des Landesbeirates für Datenschutz am 7.Juli die Vorgänge beanstandet und derartige „HIV-positiv„ -Vermerke als gesetzeswidrig bezeichnet. Innen- und Justizministerium sollen auf diesen Verstoß hingewiesen worden sein. Der Vermerk soll jetzt aus den Akten verschwinden. Die telefonische Einvernahme der Zeugen geht für Oberhauser angesichts „der Geringfügigkeit“ der Aussage in Ordnung.

Bisher war bekannt, daß die Polizei in Bayern - wie auch in anderen Bundesländern - HIV-Infizierte in verschiedenen Computerdateien mit dem Kürzel ANST (für ansteckend) oder dem Vermerk „Blutkontakte meiden“ gespeichert hat. Begründet wurde dies mit „Eigenschutz“ für die Beamten. Neu bei diesem Fall ist, daß die Aussage über eine mögliche HIV-Infektion in den Ermittlungsunterlagen auftaucht, die Dritten prinzipiell zugänglich sind. Hinzu kommt, daß nicht einmal gegen die Betroffenen ermittelt wurde, sie sollten lediglich als Zeugen aussagen.

Die Deutsche Aids-Hilfe stellte gestern gegenüber der taz den Fall in den Kontext der generellen bayerischen Aids -Politik. Neben der datenschutzrechtlichen Brisanz zeige der Fall eine erschreckende Uninformiertheit der Polizei. Dies sei eine logische Folge der Erlasse des bayerischen Innenministeriums, das beispielsweise beim letzten Positiven -Treffen in München für die Polizeibeamten „feste Kleidung und Handschuhe“ empfohlen hatte.

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