: Hör-Funken: Dschungelgeschichten
Dschungelgeschichten. Wer schon einmal von den Geschichten Walter Serners gekostet hat, die oft nur Zigarettenlänge haben, aber voll des starken Sprachkrauts sind, der weiß. was in Heinz von Cramers Hör-Tanz-Studie „Ball verkehrt oder Großer Schwof in Serners Tanzpalais“ zu erwarten ist. Als Fassadenkletterer, Hochstapler, kühle und ausgeleierte Exzentriks, Tiger und Indianer der Metropolenwildnis pirschen seine Figuren durch die Ganovengegenden vorzüglich von Paris und Berlin, immer mit Blick auf einen schnellen Coup, ein schnelles Glück, ein Spiel um alles oder nichts, die Messer ritzen so locker wie die Worte, die in geschliffenen Jargons der Ganoven, Huren und Zuhälter den in die Halbwelt verirrten Normalmenschen den Angstschweiß auf die Stirn, das Geld aus den Taschen und die letzten Illusionen aus den Köpfen treiben. Serners Geschichten haben Pfiff, Tempo und wirken wie gut dosiertes Rauschgift, ihre Anfänge springen an, und schon ist man verloren: „Mazalon wechselte mit einer dicken toten Kokotte ein qualliges Lächeln, als Rochat sich an den Tisch schob.“ Wer würde da nicht weiterlesen? Heinz von Cramer konnte jedenfalls nicht widerstehen und sagt über seine Serner-Revue: „Beim Lesen gab es die Initialzündung, jenen Funken, der übersprang, und plötzlich hatte ich eine fertige Form im Kopf, eine Art Tanz -Suite, aus diversen Geschichten collagiert. Dazu kommt, daß ich Serners Dialoge einfach großartig finde, oft kompliziert und herrlich verquer und in Horvath-Nähe, mit einer beneidenswert genauen Kenntnis des Ganoven-Jargons und des Berlinerischen.“ Seine Revue bedient sich aller radiophonen Techniken, um das morbide Flair zu erzeugen, das der Dadaist Serner für seine pfeifenden Querschlägerstücke ausplünderte, und zwei Stunden Revue vergehen hier wie nichts, wenn etwas Stegreifpoeme Sternhagelbesoffener ohne viel Getue zu hören sind: „Morgenro-ot, Morgenro-ot, / oh, der Mensch ist ein Idio-ot. / Nein, es ist das Morgenrö-ötchen, / denn der Mensch ist ein Idiö-ötchen ...“ 20.30 bis 22.30 Uhr, Hessen
up
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen