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Das Beispiel von Barcelona

■ Das Filmfest in Barcelona hat gezeigt, wie interessant ein Beiprogramm sein kann.

Filmfestspiele bestehen, wenn meine kurze Erfahrung nicht trügt, zum kleineren Teil aus Filmegucken, zum größeren aus Drumrum. In Venedig sind das Pressekonferenzen, Interview und Fototermine, dazu kommen zwei oder drei Diskussionen mit Politikern und Gewerkschaftsvertretern der Filmbranche über deren Zukunft “ ... im Zeitalter der Audiovision“ oder ähnlicher Blödsinn. Vor allem aber natürlich Feste, zu denen gewöhnliche Sterbliche offiziell keinen Zutritt haben, als illegale Eindringlinge aber sehr geschätzt werden, weil sonst die Prominenz unter sich und somit ohne Bewunderer.

Das alles gab es bei den Filmfestspielen in Barcelona auch. Kleiner, intimer, darum intensiver. Vor allem die Feste sollen ein wahres Vergnügen gewesen sein. Aber es gab noch etwas, was ich so nirgends erlebt hatte. An einem Tag gab es morgens eine Veranstaltung mit u.a. Guillermo Cabrera Infante und Mario Vargas Llosa über Literatur und Film, mittags sprachen Sidney Sheldon, einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Hollywoods, und Sherry Lensing, die wichtigste Produzentin der Filmmetropole, über ihre Arbeit, und am Nachmittag kam es zu der historischen Begegnung Berry, Dassin e.a. mit Edward Dmytryk, über die wir in unserer Samstagausgabe berichteten.

Warum macht das sonst niemand? Wahrscheinlich denkt man in Berlin, Cannes und Venedig, man hätte ein so hochkarätiges Beiprogramm nicht nötig. Schließlich hat man die Spitzenfilme. Ein Hochmut, der, wenn das Beispiel von Barcelona bei den kleinen Festivals Schule macht, die großen, was die publizistische Öffentlichkeit angeht, ihre Vormachtstellung kosten kann. Schließlich gibt es auch bei den bedeutendsten Festivals kaum mehr als drei, vier Filme, die man unbedingt gesehen, über die man unbedingt berichtet haben muß.

Bei jeder Pressekonferenz zu einem Fernsehfilm großartig von europäischer Kultur und amerikanischem Business zu reden, ist einer der unangenehmsten Filmfest-Bräuche geworden. Stattdessen mal eine Diskussion zwischen Sidney Sheldon, der Ingmar Bergmann für einen evident unfähigen Filmemacher hält, und dem Meister selbst oder einem seiner Verehrer. Nicht in einem Uni-Seminar, sondern da, wo der Film die größte Öffentlichkeit hat: auf einem Festival.

Das lenkt alles ab von den Filmen, war mein Einwand, bevor ich die Diskussion in Barcelona erlebte. Nach dieser Erfahrung wünsche ich mir mehr von diesen Ablenkungen.

A.W.

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