piwik no script img

„Wir sind kein Einwanderungsland“

Vor 50 Jahren endete die „Evian-Konferenz“, auf der über die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich beraten werden sollte / Schon damals unverbindliche Absichtserklärungen und viele Ausreden, um nicht zum Asylland zu werden  ■  Von Ursel Sieber

Als im Frühjahr 1938 die Nazis in Österreich einmarschierten, rückte auch die Verfolgung der Juden wieder stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Was über die Exzesse gegen die Wiener Juden und über ihre verzweifelten Versuche berichtet wurde, ins benachbarte Ausland, in die Schweiz, nach Italien oder in die Tschechoslowakei zu gelangen, schockierte die Öffentlichkeit, insbesondere in den USA. Zwei Wochen nach dem „Anschluß“ Österreichs kündigte der damalige amerikanische Präsident eine Initiative an, in die die Betroffenen große Hoffnung setzten: Roosevelt traf Vorbereitungen, um eine internationale Flüchtlingskonferenz einzuberufen. Ein paar Monate später, am 7.Juli 1938, trat die Konferenz in Evian -Les-Bains, einem kleinen Badeort am Genfer See, zusammen.

Die deutschen und österreichischen Juden waren damals in einer Lage, die immer verzweifelter wurde. Zwischen 1933 und 1937 hatten die Nazis allein 135 Gesetze verabschiedet, die die Juden nach und nach aus dem öffentlichen Leben und aus allen wirtschaftlichen Bereichen vertrieben. Und Verordnungen, die ihnen alle Menschenrechte und die deutsche Staatsbürgerschaft raubten. Proteste des Auslands gab es sie blieben erfolglos. So hatte der Völkerbund zwar 1933 einen Flüchtlingskommissar eingesetzt, aber nicht mit Vollmachten ausgestattet. Und die jüdischen Organisationen mußten für sein Gehalt aufkommen. Auch die westlichen Regierungen betrachteten den Terror gegen die Juden noch immer als interne Angelegenheit von Nazi-Deutschland. Auf Regierungsebene wurde nirgendwo etwas Effektives gegen die Judenverfolgung unternommen, und die Nazis, so schreibt Salamon Adler-Rudel, merkten bald, daß ihre Judenpolitik die anderen Staatsmänner nicht davon abhalten würde, ihnen weiterhin die Hände zu schütteln.

Salamon Adler-Rudel gehörte seit seiner Emigration aus Deutschland im Jahre 1936 zum Hauptvorstand der britischen Sektion des „Council for German Jewry“ und hatte in dieser Eigenschaft an der Evian-Konferenz teilgenommen. Präsident Roosevelt, so konstatieren Adler-Rudel und der Historiker Hans-Albert Walters übereinstimmend, habe die Delegationen aus 31 Ländern weniger aus humanitären denn aus innenpolitischen Gründen in den französischen Badeort geholt: Kongreßabgeordnete und Publizisten hätten auf die US -Regierung immer größeren Druck ausgeübt, in der Lösung der Flüchtlingsfrage die Initiative zu ergreifen. Roosevelt habe dem mit der Evian-Konferenz „dem Anschein nach“ entsprochen.

Maßnahmen waren

nicht erwartet

Dies wurde auch in den Einladungsschreiben deutlich. Roosevelt schrieb, er erwarte nicht, daß die Teilnehmerstaaten der Konferenz ihre Einwanderungsbestimmungen verändern und zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen wollten. Gerade die geltenden Einreisebestimmungen waren jedoch das größte Hindernis für die jüdischen Flüchtlinge. Damit war deutlich, daß sich die Hoffnungen der jüdischen Hilfsorganisationen nicht erfüllen würden. Das Scheitern war vorprogrammiert.

Über eine Woche lang reihte sich Sitzung an Sitzung. Eine Delegation nach der anderen las ihre sorgfältig vorbereiteten Statements ab. Das Problem der Juden, die nach den Pogromen aus Polen vertrieben wurden, blieb ausgeklammert. Die deutschen und österreichischen Juden setzten große Hoffnung auf bessere Möglichkeiten zur Auswanderung nach Palästina. Großbritannien besaß damals die Mandatsverwaltung und hatte restriktive Einwanderungsbestimmungen erlassen. Lord Winterton, Leiter der britischen Delegation, stellte in Evian klar, daß sich daran auch in nächster Zukunft nichts ändern wird.

Wie die meisten Regierungsvertreter vermieden es auch die Amerikaner, Briten und Franzosen, die Verursacher des sogenannten „Flüchtlingsproblems“ beim Namen zu nennen, und umschifften jede Anspielung, die dem Nazi-Regime mißfallen könnte. Die Konferenz sollte möglichst glatt über die Bühne gehen. Auch damals ging es um Quoten und Flüchtlings -Kontingente, und der amerikanische Sonderbotschafter Myron Taylor brüstete sich mit der Feststellung, daß die Quote der amerikanischen Regierung nun bei 27.370 Flüchtlingen im Jahr liege. (Die Einreisebestimmungen waren jedoch de facto so streng, daß in fünf Jahren nur 27.000 Menschen Asyl gewährt wurden.)

Taylor fügte hinzu, daß man in Evian kaum mehr erreichen könne, als einen Mechanismus in Gang zu setzen, um auf lange Sicht die Lage dieser unglücklichen Menschen zu verbessern. Und alle Regierungsvertreter machten deutlich, daß die Auswanderung der Juden nur über private Organisationen finanziert werden kann. Doch die jüdischen Verbände hatten in diesen fünf Jahren Nazi-Herrschaft schon etwa 50 Millionen Dollar aufgebracht.

Es gab Möglichkeiten

Die Äußerungen der Regierungsvertreter ähnelten sich im Verlauf der Konferenz immer mehr. Alle waren bemüht, ihre humanitären Ansprüche herauszustellen. Zum Beispiel Großbritannien: „Es war die traditionelle Politik der britischen Regierungen, solchen Personen Asyl anzubieten, die aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen ihre Heimatländer verlassen mußten“, erläuterte Lord Winterton. Doch dann folgte wie in allen anderen Erklärungen immer der entscheidende Zusatz in genau den Formulierungen, mit denen 50 Jahre später in der Bundesrepublik die „Asylfrage“ behandelt werden sollte: „Aber Großbritannien ist kein Einwanderungsland. Es ist hochindustrialisiert, hat eine hohe Bevölkerungsdichte und steht noch immer vor dem Problem der Arbeitslosigkeit. Aus ökonomischen und sozialen Gründen kann die traditionelle Politik der Asylgewährung nur innerhalb enger Grenzen angewandt werden.“

Ein paar Staaten bekräftigten immerhin, daß sie bereit wären, ausgebildete Landarbeiter aufzunehmen. Und die englische Regierung zeigte sich bereit, eine jüdische Siedlung für zwei- bis dreitausend Familien in Kenia zuzulassen - ein Tropfen auf den heißen Stein.

Viele jüdische Organisationen waren als „Beobachter“ in Evian. Der Versuch, sich auf ein gemeinsames Auftreten zu einigen, scheiterte. Vor einem „Unterausschuß“ durften sie ihre Anliegen vorbringen. Wie demütigend das Verfahren gewesen sein muß, beschreibt Salamon Adler-Rudel: „Die in Frage kommenden Sprecher standen an der Tür des Sitzungszimmers. Jeder, der hereinkam, hatte drei bis vier Minuten Zeit, um seine Wünsche vorzutragen. Fragen wurden an ihn nicht gestellt, bei den ersten wurde noch eine Übersetzung ins Englische oder Französische vorgenommen, bei den später Kommenden entfiel sogar diese Höflichkeitsbezeugung, und die diversen Sprecher sahen sich wieder im Vorzimmer der Kommission, noch ehe sie begriffen hatten, daß sie bereits vor der Kommission erschienen waren.“ Ein paar Mitglieder der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ hatten für die Konferenz eine Ausreisegenehmigung erhalten. Sie hatten ein Memorandum mit sehr präzisen Vorschlägen und Zahlen mitgebracht und versuchten nun darzulegen, warum es fast unmöglich ist, die Einreisebedingungen der einzelnen Staaten zu erfüllen. Immer wieder kamen sie darauf zurück, daß die Juden zu jeder Art von Arbeit bereit wären und gute Farmer seien.

Das Ergebnis dieser Tage war für die deutschen und österreichischen Juden eine furchtbare Enttäuschung: eine Resolution mit vagen Absichtserklärungen. Ein ständiges Komitee mit Sitz in London wurde gegründet, das den Versuch machen sollte, mit den Nazis zu verhandeln, auch über die Herausgabe eines Teils des konfiszierten jüdischen Vermögens. Die jüdischen Hilfsorganisationen, so schrieb Salamon Adler-Rudel, spürten „instinktiv“, daß bei diesen Verhandlungen nichts herauskommen konnte.

Das Evian-Komitee versuchte lange Zeit vergeblich, mit der Reichsregierung in Kontakt zu kommen. Im Dezember 1938 kam es schließlich zu Verhandlungen über einen Vorschlag des Evian-Komitees, die Herausgabe von 25 Prozent des jüdischen Vermögens mit der Zusage zu erkaufen, daß die deutschen Warenexporte gesteigert werden könnten. Von den Nazis war Reichsbankpräsident Schacht bevollmächtigt worden. Herausgekommen ist nichts. Die Pogrome gegen die Juden wurden indessen schlimmer. Und mit dem Angriff auf Polen und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war die Flüchtlingsfrage ohnehin kein Thema mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen