piwik no script img

For the reason of love

■ Die „amerikanisierte“ Exil-Inderin aus Bremen, Sujata Bhatt, ist nicht so berühmt wie Brecht, schreibt aber brechtmäßig treffsichernd schlichte Liebesgeschichten

Ich mag eigentlich keine Gedichte. Brecht vielleicht und Morgenstern und Dada-Schwitters. Aber nicht diesen zusammengestoppelten Tiefsinn von moderner deutscher Lyrik. Ich mag Liebesgeschichten. Die halbe Welt paßt in eine Liebesgeschichte, wenn man es ordentlich macht. Steckt alles drin: blaue Frühstücksherzen, Abwasch und alberne Unvernunft, großes Sehnen und kleine Entscheidungen, die einem das ganze Leben durcheinander bringen.

Auch Sujata Bhatt (geboren 1956 in Ahmedabad, Indien) hat eine Liebesgeschichte. Da ist die halbe Welt drin: Indien, Amerika und Bremen. Dazu ein Buch voll mit Gedichten. Die sind schön. Nicht so lustig wie Morgenstern, aber ziemlich brechtmäßig treffsichernd schlicht („Orpheus, ich sage dir, ich bin nicht in der

Hölle, diese Gegend heißt Maine“), voll semantischer Hakenschläge, hops und weg, daß man kopfschüttel-lachend hinterhereiert. Große Gefühle so lakonisch hingemalt wie von Raymond Chandler. Der ist berühmt, er macht für Levis Reklame.

Sujata Bhatt ist noch ziemlich unberühmt. „Nein“, sagt sie mit so braunen Augen, daß man aufpassen muß, nicht hineinzuplumpsen mit all seinen gesammelten Yoga-Curry -sanfte-Weisheit-durch-Meditation-Indien-Klischees. Nein, sie sei noch nicht oft interviewt worden. Ich sei die erste, die das wolle. Der Alice Hunt Bartlett-Literaturpreis, den sie im junischönen London für ihren ersten Lyriksammelband Brunizem von der Poetry Society bekommen hat, ist eine prestigereiche, aber massenhaft unbeachtete Angelegenheit.

Brunizem bezieht sich auf die dunkelbraune Steppenerde Asiens, Nordamerikas und Europas, und ist eine französich -russische Wortneuschöpfung einer „amerikanisierten“ Exil -Inderin aus Bremen. „Ich glaube“, schreibt Sujata Bhatt für die Bremer Literaturzeitung Skript, „letztlich gilt das für den Schreiber und den Menschen: Je mehr Sprachen und Kulturen einem vertraut sind, desto eher versteht man die Essenz von Leben überhaupt.“ Und sagt im Interview: „Indien und Europa sind beides sehr alte Kulturen. Die Details sind natürlich unterschiedlich. Aber das fundamentale Gefühl, Tradition zu haben, ist das gleiche. Es ist komisch, aber in der grundsätzlichen Art, über das Leben zu denken, sind sich Indien und Europa näher als Indien und die USA. Amerika ist eine sehr schnelle Instant-Kultur. Man bekommt manchmal schon in ganz normalen Cafes den Tee in Plastiktassen.“

Das radikale Gewechsle kultureller Sinnsysteme (1968 mit Familie in die USA, 1987 „for the

reason of love“ nach Bremen) mag weise machen, es macht aber immer auch ein Stück Unglück. Und in Bremen kann man besonders prächtig Heimweh haben: „Man kann sich hier sehr viel fremder fühlen als irgendwo sonst. Für die Leute hier sind Ausländer noch so neu, ein richtiger Schock. Wenn ich in London bin, glaubt jeder, daß ich da lebe. In Amerika auch. Sie haben so viele Immigranten da. Man ist nichts Besonderes. Auch in Holland. Ich fühle mich da sehr wohl, sehr entspannt. Hier war das erst sehr schwierig, und ich habe es nicht gemocht. Es dauert so lange in Deutschland, bis die Leute nett zu dir sind. Sie sind sehr reserviert. Aber ich habe Freunde. Das ist gut. Sie sind keine typischen Deutschen, was immer das ist. Sie sind sensibel, kunstinteressiert. Da fühle ich mich wohl.“

Sujata Bhatt lernt gerade Deutsch. Am Goethe-Institut und durch einfache 50er Jahre Fernsehfilme: „Die mag ich sehr. Sie sind simpel, und ich kann ihnen folgen.“ 1987 kam sie mit einem Literatur-und Philosophie-Magistertitel der Universität Iowa und dem Herzen voll Liebe nach Bremen, aber ohne Deutschkenntnisse. „An Tagen, an denen ich mich ziemlich müde fühle, bin ich natürlich nicht gerade glücklich, daß alles um mich rum deutsch spricht“, sagt sie lakonisch.

Ihren guten Grund für die radikale Ich-stell-mein-Leben-auf -den-Kopf-Entscheidung hat Sujata Bhatt in einem Radio Bremer, Zeitungsfanatiker und freien Schriftsteller. Der hat 1984 im Universitäts-Literaturkurs seine Werke vortragen. Er muß einen sehr guten Eindruck gemacht haben. „Ich hab‘ vorher auch nie zu jemandem gesagt, o.k., ich hör auf hier und komm zu dir. Diesmal war es eben anders. Ich hatte noch keine feste Arbeit, die mir Spaß gemacht hätte. Und ich war 30. Ich glaube manchmal, daß du so um die 30 wirklich genau

weißt, was du willst. Wenn du jemanden triffst, den du magst, aber es ist nicht genug - ich glaube, wenn du älter bist, wirst du radikaler. Du sagst, nein, das will ich nicht, ich will etwas anderes. Und wenn du jemanden findest, der sehr besonders ist, und du weißt nicht, ob du so jemanden nochmal triffst, - wenn du älter bist, versuchst du mehr, das dann festzuhalten.“ Das gebe ich meinem Liebsten in Dortmund zu lesen, damit er endlich zu mir kommt und mich festhält. Kommt er nicht, komm ich zurück. Unemanzipiert? „Wenn ich das Gefühl hab, das einzige, was ich zu tun hab, ist, eine Menge aufzuräumen, zu putzen und zu waschen, dann denk ich auch Oohh, bist du doof. Und wenn er dann kommt und sagt Ich bin den ganzen Tag weg und hab so viel Streß und selbst kaum Zeit zum Schreiben...ich hab viel darüber nachgedacht. Wenn ich das Schreiben nicht hätte, wäre alles sehr viel schwieriger für mich.“

So denkt sie an Worte, Zeilensprünge und die innere Struktur von Sprache, - „Etwas, das sehr viel großartiger ist als meine persönlichen Beschwerden“. Schreiben als Spaß und Flucht und Trauerglück und Festhalten von kulturellen Welten, die sonst verloren gehen. Das ist schön und clever. Vielleicht sollte ich es auch mal mit Lyrik versuchen.

Petra Höfer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen