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Der sympathische Verrat-betr.: "Verräter und Verratene", taz vom 9.7.88

betr.: „Verräter und Verratene“, taz vom 9.7.88

In der taz war zu lesen, wie Arno Widmann dem Problem in der McCarthy-Ära beikommt: „Wer einmal in einer politischen Gruppe war und erfahren hat, welch ein Druck von ihr auf Einzelne ausgeübt werden kann, der wird Verständnis haben für einen Dmytryk, der sie loswerden wollte und darum verriet.“ Der Verräter ist also das Opfer und nicht der Verratene. Deshalb wollen wir ja auch nicht jenem moralischen Rigorismus huldigen, den sich die Verratenen auch noch anmaßen. Nein, die Gruppe ist alleine schuld, wenn sie mich unterdrückt und ich als Individuum nun mal so schwach bin, mich aus den Abhängigkeiten nicht lösen zu können, dann werde ich es den „Schweinen“ schon zeigen. Verrat als Therapieform zwecks Ich-Findung - als großer Befreiungsschlag. „Ich bin damals Sozialist geblieben, bin es bis heute“ (Dmytryk). Sicherlich, dieses Bekenntnis gefällt. Zur Wahrung dieser Identität müssen hin und wieder auch Opfer gebracht werden, alles ist erlaubt. Und schließlich waren die Verratenen ja auch nur Mitglieder der Kommunistischen Partei.

Da das Problem von Verrat also eher im psychologischen Zusammenhang von Identitätsfindung und -wahrung des Individuums gegenüber der „bösen“ Außenwelt (Gruppe) zu sehen ist und nicht mit gesellschaftlichen Machtstrukturen auch in politischen Gruppen und zwischenmenschlichen Beziehungen zusammenhängt, braucht Widmann letztere auch nicht mehr zu thematisieren.

Sein Thema ist: Der Einzige und das Andere - diese Reformulierung eines extremen Subjektivismus aus der Theorietradition des frühen Anarchismus (Stirner etc.). Gesellschaftliche Kategorien werden da keine mehr benötigt. Druck einer Gruppe und Repression des kapitalistischen Staates werden vergleichbare Größen. Mit dem Unterschied, daß die Zusammenarbeit mit den staatlichen Repressionsorganen zur Voraussetzung der Selbsterhaltung gemacht wird. Was dabei wohl erhalten wird?

Widmann hat leider eine Möglichkeit verpaßt, eine notwendige Diskussion darüber zu eröffnen, wie Machtstrukturen innerhalb der Linken (und dazu gehören auch Steine auf einen taz-Redakteur) Menschen dazu bringen können, mit den Staatsorganen zusammen zu arbeiten. Und dies häufig konträr zu ihrem politischen Bewußtsein.

Ansonsten würde ich Widmann empfehlen, manches Buch vom Nachttisch besser auf den Schreibtisch zu packen.

Wilfried Fahlenbock, Berlin

Widmanns Bericht über das gescheiterte Gespräch zwischen zwei Opfern des amerikanischen McCarthy-Ausschusses und einem ihrer Denunzianten anläßlich der diesjährigen Filmfestspiele in Barcelona ist eine sonderbare Form der Legendenbildung. Nun ist es ganz gewiß seine Sache, wenn er das Gesicht Edward Dmytryks, des Denunzianten von einst, als „einnehmend“ empfindet und sich von Auftreten und Rhetorik der ehemaligen Opfer weniger angesprochen fühlt. An einen „linken Billy Graham“ erinnert ihn der eine, und bei dem anderen rügt er, das „weltmännische Auftreten“ wolle nicht zum „Einklagen moralischen Rigorismus“ passen. Schlimm, schlimm. Es wäre gewiß an der Zeit, einmal Benimmbreviere für bodenständige moralische Rigoristen herauszubringen (Tips für vorteilhaftere Physiognomie liefern ja gottseidank schon die amerikanischen Fernsehserien). Einige andere Bemerkungen und Bewertungen Widmanns sollten aber so nicht stehenbleiben.

„Wer einmal in einer politischen Gruppe war und erfahren hat, welch ein Druck von ihr auf Einzelne ausgeübt werden kann, der wird Verständnis haben für einen Dmytryk, der sie loswerden wollte und darum verriet.“ Schlimmes muß der Autor dieses Satzes durchgemacht haben, wenn noch Ereignisse, die heute mehr als 30 Jahre zurückliegen, zum Opfer seiner Projektionen werden. Nichts war Dmytryks Ausage vor dem Ausschuß für unamerikanische Aktivitäten weniger als ein Akt der Selbstbefreiung, ein Schritt zur Autonomie, wie Widmann suggerieren möchte. Er fällt hier auf die einigermaßen dürftige Rechtfertigung des ehemaligen Denunzianten herein, der in Barcelona vorgebracht hatte, er habe ja nur „Namen genannt, von denen ich wußte, daß das FBI sie schon hat.“ Man sollte heute niemanden mehr darüber aufklären müssen, daß der McCarthy-Ausschuß nicht wirklich an den Informationen der vorgeladenen Zeugen interessiert war (er wußte längst, wonach er fragte), sondern nur an der Geste der Unterwerfung. Nichts da von kathartischem Heroismus! Einer wie Dmytryk hat nur die Zwänge, wenn es sie denn gab, einer winzigen Gruppe gegen die der „moral majority“ eingetauscht. „Der Verrat“, heißt es bei Widmann, „ein zentrales Thema des 20. Jahrhunderts, hatte ein Gesicht bekommen, das von Edward Dmytryk. Es war ein einnehmendes Gesicht.“ Der Rezensent hat den Film, der ihm da gezeigt worden ist, nicht begriffen. Dmytryk gehört nicht ins tragische Fach. „Verrat“ ist für ihn ein zu großes Wort. Er war nur Komparse, seine Rolle ist der Mitläufer, der Phänotyp unseres Jahrhunderts.

Henning Bothe, Stadthagen

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