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Kinder haften für ihre Eltern

■ Der „Treibhauseffekt“ führt zur Klimakatastrophe

Die mittlere Temperatur auf der Erde erhöht sich, die Katastrophe - vor allem für die halbtrockenen Gebiete der „Dritten Welt“ - ist vorprogrammiert. Über den „Treibhauseffekt“ ist sich die Wissenschaft einig - trotzdem wird nicht gehandelt. „Wahnsinn mit Methode“ nennt das Prof. Meyer-Abich. Dennoch hält er es noch für möglich zu verhindern, daß kommenden Generationen die Anpassung an veränderte Bedingungen überlassen wird.

Von Klaus Michael Meyer-Abich

Die bisherige Umweltpolitik hat sich auf den Dreisatz eingependelt: 1. So geht es nicht weiter. 2. Was statt dessen zu geschehen hätte, ist im wesentlichen bekannt. 3. Trotzdem geschieht es nicht, von Marginalien abgesehen. Dies war so zur Zeit der Regierung Schmidt. Die jetzige Regierung hat es etwas leichter, weil die Lage schlimmer geworden ist, aber besser geworden ist nichts.

Nach dem Waldsterben und den Industriekatastrophen von Seveso, Bhopal, Tschernobyl und Basel gibt es nun ein neues Warnsignal. Seit Anfang der siebziger Jahre verdichtet sich die Befürchtung, daß die Wirtschaftsprozesse vor allem der Industrieländer den Energiehaushalt der Atmosphäre durcheinanderbringen. Es geht um Erhöhungen der mittleren Temperatur um einige Grade. Da denkt man in unseren Breiten vielleicht zunächst einmal: Das käme uns ja eigentlich wie gerufen, wo es hierzulande doch normalerweise ziemlich kalt ist. Das wäre aber genauso egoistisch gedacht, wie die Industrieländer mit einiger Wahrscheinlichkeit reagieren werden.

Wegweisend für eine verantwortliche Sicht der Klima -Entwicklung war ein Kongreß wissenschaftlicher und politischer Experten, der in Toronto stattgefunden hat. Ich war auf Einladung der kanadischen Regierung an den Vorbereitungen beteiligt und hatte die Sektion zu betreuen, in der über die politischen Konsequenzen beraten wurde. Eingebracht hatte mir diese Einladung ein vor vielen Jahren geschriebener Aufsatz, in dem ich detailliert begründet hatte, im Sinn der politisch herrschenden Art von Rationalität wäre es das Vernünftigste, nichts gegen die drohende Klimaänderung zu tun, sondern den kommenden Generationen die Anpassung an veränderte Bedingungen zu überlassen. Kinder haften für ihre Eltern. Wird der Kongreß diese Art von politischer Unvernunft - ist es Wahnsinn, hat es doch Methode - erschüttern?

Beeindruckend war zunächst die Einigkeit der wissenschaftlichen Experten. Der dumme Einwand, man wisse ja noch nicht einmal, ob es wärmer oder kälter wird, ist längst vom Tisch - es wird wärmer -, aber nicht nur das. Das eigentliche Problem ist, daß mit dem Energiehaushalt der Atmosphäre die Niederschlagsverteilung, -häufigkeit und -intensität verändert wird. Es wurden nun schon ziemlich detaillierte Karten vorgelegt, nach denen die Tockenheit zunehmen und der landwirtschaftliche Ertrag dementsprechend abnehmen wird.

Naturwissenschaftlich sind die früheren Unsicherheiten jedenfalls so weit verschwunden, daß nach dem Stand des Wissens jetzt politisch gehandelt werden müßte. Soweit es noch Unsicherheiten gibt, liegen sie nun in der Politik, nicht mehr in der Wissenschaft. Jetzt immer noch nichts zu tun, wäre so, wie volltrunken am Steuer weiterzufahren, weil man ja noch nicht genau vorhersagen kann, ob die Fahrt an einem Baum oder in einem Graben endet.

Der Vergleich der durch Veränderungen in der Atmosphäre zu erwartenden Folgen mit denen eines Atomkriegs, der auf dem Kongreß gezogen wurde, war ein starkes Wort und hat auch in der Öffentlichkeit Eindruck gemacht. Vor allem für die semiariden Gebiete in der „Dritten Welt“, in denen die landwirtschaftlichen Erträge von Jahr zu Jahr davon abhängen, ob es wohl gerade genug regnet, ist zu befürchten, daß das notwendige Minimum auf Dauer unterschritten wird. Hungersnöte wären die Folge, und dies wohl in noch stärkerem Maße als bisher. Hunderte von Millionen Menschen würden dort, wo sie bisher gelebt haben, ihr Auskommen endgültig nicht mehr finden und in andere Länder drängen, denen es besser geht. Dies wäre in der Tat vergleichbar mit den Folgen eines Atomkriegs.

Als Konsequenz der Klima-Entwicklung wird der Meeresspiegel steigen, bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts vielleicht um einen knappen Meter, je nach der weiteren Entwicklung unseres Verbrauchs an fossilen Energieträgern. Für Bangladesh wäre schon dieser Anstieg katastrophal, aber auch die Holländer wären darüber nicht glücklich, ausgenommen die Deichbauwirtschaft.

Besteht noch eine Chance, die globale Klimakatastrophe, den Anstieg des Meeresspiegels und die Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht in Grenzen zu halten? Der Kongreß hat diese Frage bejaht und empfohlen: Die Industrieländer sind die Hauptverursacher der Probleme und sollen nun auch als erste etwas dagegen tun, also nicht in erster Linie wegen der Zerstörung der tropischen Regenwälder herumquengeln. Über 70 Prozent des Treibhausgases CO2 kommt aus den USA, der UdSSR, Westeuropa und Japan, und bei den halogenierten Kohlenwasserstoffen ist es eher noch mehr. Die Industrieländer sollen ihren Verbrauch von fossilen Energieträgern relativ zu 1988 bis 2005 um 20 Prozent vermindern und längerfristig mindestens halbieren. Dies geht bekanntlich im wesentlichen schon durch Energieeinsparung (Ersatz von Energie durch Investitionen und Intelligenz), längerfristig auch durch Sonnenenergie. Hier wurde auch die Atomenergie noch einmal genannt, sofern die Sicherheits-, Endlagerungs- und Proliferationsprobleme lösbar sein sollten. Die Emissionen an vollhalogenierten Kohlenwasserstoffen sollen bis 2000 ganz verschwinden. Das Abkommen von Montreal müßte also nach der Ratifizierung schnellstens verschärft werden. Aus Abgaben, die auf den Verbrauch von fossilen Energieträgern zu erheben sind, soll ein internationaler Fonds zur Rettung der Atmosphäre eingerichtet werden. Die Mittel sollen vor allem eingesetzt werden, um den Ländern der „Dritten Welt“ zu helfen, die Probleme nicht ihrerseits zu verschärfen und sich, soweit inzwischen unvermeidlich, an die Folgen der von uns verursachten Klimaänderung anzupassen.

Dieses sind sehr weitreichende Empfehlungen, und sie haben den Kommentar der 'FAZ‘, daß es sich hier nur einen „Minimalkonsens“ handele, wahrhaftig nicht verdient. Derartige Bewertungen machen jedoch sichtbar, wie auch sehr weitreichende Konsense wirken, wenn sie in eine Welt von Politik und der politischen Berichterstattung eintreten, in der es nur einen minimalen Horizont für globale und langfristige Verantwortlichkeiten gibt.

Meine eigene Antwort auf die Frage, ob hinsichtlich der klimatischen und sonstigen Veränderungen wenigstens das Schlimmste noch zu verhindern ist, lautet eher „im Prinzip Ja“ als einfach „Ja“. Die Welt ist eine, aber die Menschheit ist es nicht. Wie sollen die vielen Regierungen, von denen jede nur für einen Teil des Ganzen zuständig ist, gemeinsam das Ganze wahrnehmen, wenn es eine solche Gemeinsamkeit politisch nicht gibt. Sehen wir denn nicht, wie bereits in bezug auf nationale Interessen diejenigen Schäden, die erst im Lauf der Jahrzehnte eintreten, in der heutigen Politik nicht berücksichtigt werden? Wie soll es da angesichts künftiger Katastrophen, deren Verursacher wir Reichen sind, deren Leidtragende aber wieder die armen Länder der „Dritten Welt“ sein werden, zu einer Politik in globaler Veranwortung kommen - und dies mit einem Zeithorizont, der den aller heutigen Regierungen übersteigt?

Und dennoch: Als ich im Starnberger Max-Planck-Institut von Otto Kreye und Jürgen Heinrichs erstmalig hörte, daß die Entwicklungsländer mehr abgeben, als sie bekommen, dachte ich: Wenn das so ist, müßte es doch in allen Zeitungen stehen! Jetzt war es die norwegische Ministerpräsidentin, Gro Harlem Brundtland, die in ihrer Eröffnungsansprache sagte: „Ist es nicht pervers, daß ein Nettotransfer von Gütern aus den armen in die reichen Länder stattfindet, allein in den letzten Jahren mehrere hundert Milliarden Dollar?“ Gibt es doch noch Fortschritte in der Politik, zum Beispiel durch couragierte Frauen?

Klaus Michael Meyer-Abich, von Haus aus Physiker, Autor zahlreicher Bücher zum Thema Energiepolitik, war in den siebziger Jahren ordentlicher Professor für Naturphilosophie an der Universität Essen. Bis 1987 war Meyer-Abich (parteiloser) Senator für Wissenschaft und Forschung in Hamburg.

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