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Oh, Pasta mia!

■ Der Europäische Gerichtshof kappte das italienische Reinheitsgebot für Spaghetti / Droht Mamma Italias Küche eine teutonische Spätzle-Invasion?

Luxemburg (taz) - Jetzt aber Obacht: Italienreisende, die sich in einer Trattoria richtig den Bauch mit original italienischen Spaghetti vollschlagen wollen, müssen ab sofort damit rechnen, daß ihnen teutonische Nudelpampe untergeschoben wird: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat nämlich am Donnerstag das Reinheitsgebot für italienische Pasta aufgehoben. Das römische Gesetz Nr. 580, das innerhalb Italiens nur den Vertrieb von Fertigteigwaren aus Hartweizen erlaubt, sei mit den EG-Rechtsvorschriften über den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft unvereinbar. Damit ereilte die italienische Nudel das gleiche Schicksal wie das deutsche Bier im März letzten Jahres, dessen Reinheitsgebot ebenfalls vor den Euro-Kadis nicht bestand.

Seinen Anfang hatte der juristische Nudelkrieg gleich hinter dem Brenner-Paß genommen: Als dort im Frühjahr 1985 ein Lastwagen der deutschen Firma „3 Glocken“ am Schlagbaum vorfuhr, bimmelten bei den italienischen Zöllnern mehr als drei Alarmglocken. Nicht, daß die Ladung des Nudel -Transporters Fortsetzung auf Seite 2

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etwa Eiterklumpen oder Kückenrest enthalten hätte - gerade hatte der Flüssigei-Skandal in Deutschland Wellen geschlagen - nein, viel schlimmer: Die Nudeln aus dem Norden enthielten eine Mischung aus in Südeuropa ausschließlich verwendetem Hartweizen und dem in Nordeuropa üblichen Weichweizen. Das war bislang in Italien streng verboten. Das heimische Lebensmittelrecht akzeptierte nur nach alter italienischer Tradition aus reinem Hartweizen hergestellte Pasta. Für die Gesundheit der Fresser macht das kaum einen Unterschied, für den kulinarischen Genuß aber wohl: Hartweizen-Spaghetti pappen nicht zusammen, sofern das Timing auf dem Herd stimmt. Sie kommen „al dente“ auf den Tisch. Die physische Konsistenz germanischer Eiernudeln dagegen, jeder weiß es, gereicht jedem Scheibenkleister zu Ehre.

Der am Brenner gestoppte Nudelexporteur mußte vor den Kadi. Doch dort ging der Schuß der Zöllner nach hinten los! Der Richter am Amtsgericht Bozen stellte nicht „3 Glocken“, sondern den Gesetzgeber in Rom an den Pranger: Dessen Nudelparagraph sei ein Handelshemmnis im freien Warenverkehr; ausländische Konkurrenz sollte damit vom eigenen Markt ferngehalten werden; mithin liege ein Verstoß gegen den EG-Vertrag vor. Zum Entsetzen der heimischen Nudel -Industrie legte der südtiroler Kadi den brisanten Fall dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zwecks Grundsatzentscheidung vor.

Auch die Generaldirektion für freien Warenverkehr in der Brüsseler EG-Kommission hatte bereits ein Vertragsverletzungsverfahren zur selben Sache in der Schublade. Doch in allerletzter Minute verhinderten zwei EG -Kommissare damals die Kommissionsklage in Luxemburg - der italienische und der griechische. Denn seit ihrem Grundsatzurteil im Falle des französischen Likörs „Cassis-de -Dijon“ im Jahre 1979 verfolgen die Luxemburger Euro-Kadis bei Lebensmitteln konsequent eine rigorose Linie: Was in einem EG-Land rechtmäßig produziert wird, soll grundsätzlich auch in allen Mitgliedstaaten verkauft werden dürfen. Dabei setzt der EuGH auf die Mündigkeit des Verbrauchers: Durch entsprechende Etikettierung werde er ausreichend davor geschützt, etwas zu kaufen, das er nicht essen will.

Für eine kleine Sensation in dem mehrjährigen Verfahren sorgte der italienische Generalanwalt Mancini in seinem Schlußantrag: Der Italiener, der das Reinheitsgebot für deutsches Bier seinerzeit wild attackiert hatte, verteidigte nun den römischen Nudel-Kodex vehement. Den Gesundheitsschutz führte er gar nicht erst an. Weichweizennudeln sind zwar matschig, aber eben nicht giftig. Außerdem gestattet das italienische Recht zur Senkung der Produktionskosten sehr wohl Weichweizen in Teigwaren - wenn sie für den Export bestimmt sind. Also verlegte sich Mancini unzulässigerweise auf handels- und agrarpolitische Argumente (sprich: Arbeitsplätze der Hartweizen-Bauern). Aber solche dürfen eben nicht dem Konkurrenzschutz dienen. Daß der EuGH den ideologisch belasteten Fall ausgerechnet dem einzigen Italiener unter den sechs Generalanwälten zugewiesen hatte, wurde in EG -Kreisen als höchst ungeschickt angesehen. Spaghetti sollen ja in Italien keine Lebensmittel, sondern eine Weltanschauung sein. Würden die Richter dem Antrag des Generalanwaltes folgen, was sie nicht immer, aber meist zu tun pflegen, so munkelte man bereits in Brüssel, stehe die die Glaubwürdigkeit der EG-Justiz auf dem Spiel. Doch die Euro-Kadis blieben hart wie Spaghetti aus Hartweizen und bewiesen Biß. Das Urteil: Die entsprechende Passage im italienischen Teigwarengesetz „ist mit den Artikeln 30 und 36 des EWG-Vertrages unvereinbar.“ Damit ist ein weiteres EuGH-Urteil in Sachen Fressalien quasi vorprogrammiert, das im November fallen wird: Dann geht es um die deutsche Wurst.

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