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Verordnete Willkür im Abschiebeknast

■ Hungerstreik von Abschiebehäftlingen in der Kruppstraße gegen neue „Gewahrsamsordnung“ / Beamte dürfen Besucher nach eigenem Ermessen abweisen / Vorgelassen wird nur, wer ein „berechtigtes Interesse“ nachweisen kann / Proteste von AL und FDP

Nicht nur bei den Insassen stößt die neue „Gewahrsamsordnung“ des Polizeigewahrsams Kruppstraße, in dem Ausländer bis zur ihrer Abschiebung gefangengehalten werden, auf Widerstand. Auch die Fraktionen der AL und FDP protestieren.

Sechs Häftlinge, die am Mittwoch letzter Woche einen Hungerstreik gegen die Verschärfung der Besuchsordnung begonnen hatten, brachen die Nahrungsverweigerung laut Sprecher des Innensenators, Birkenbeul, am letzten Dienstag ab. Mehrere ALer berichteten dagegen, daß sich vier Ausländer weiterhin im vollständigen Hungerstreik befinden. Zwei weitere würden das Anstaltsessen verweigern.

Der Grund des Hungerstreiks ist eine Formulierung in der Gewahrsamsordnung, die der Anstaltsleitung die Zurückweisungen von Besuchern ins eigene Belieben stellt. Zu einem Abschiebehäftling vorgelassen wird seit Anfang Juni nur, wer ein „berechtigtes Interesse“ am Schicksal des Häftlings nachweisen kann, wie Birkenbeul erläuterte. Davon ausgenommen sind weiterhin Angehörige, Rechtsanwälte sowie „geistliche und konsularische“ Vertreter. Mehrere Mitglieder der Aktion Fluchtburg und der „Kontakt- und Beratungsstelle für außereuropäische Flüchtlinge“ waren mit Verweis auf die neue Gewahrsamsordnung zurückgewiesen worden. Erst als ein betroffener Häftling einen Antrag auf einstweilige Verfügung stellte, wurden sie vorgelassen.

Das „berechtigte Interesse“, das es laut Auskunft von Justizpressesprecher Kähne in keiner Knastbesuchs- oder Hausordnung gibt, hat auch in der FDP zu Protest geführt. Die Formulierung erlaube dem Aufsichtspersonal des Polizeigewahrsams Willkürentscheidungen und sei eine Schlechterstellung der Abschiebehäftlinge, für die es absolut keinen Grund gebe. Statt eines „unbestimmten Rechtsbegriffs“ wie dem berechtigten Interesse solle der „beiderseitige Besuchswunsch“, von Häftling und Besucher geäußert, das einzige Kriterium für die Besuchserlaubnis sein. Weil die Fraktion immer noch auf eine schriftliche Fassung der neuen Vorschrift wartet, will der ausländerpolitische Sprecher der FDP, Lange, nach den Parlamentsferien die Gewahrsamsordnung auf weitere Verschärfungen prüfen.

So lange will die AL jedoch nicht warten. Abschiebegewahrsam, sagte Fraktionsmitarbeiter Jürgen Stohmaier, dürfe nichts anderes sein als „normales Leben minus Freiheit“. Dies bedeute, daß die Abschiebehäftlinge jederzeit uneingeschränkt Besuch empfangen können müßten. Die Formel „berechtigtes Interesse“ hingegen könne jederzeit wieder gegen Flüchtlingsinitiativen angewendet werden. Nicht nur gegen die Gewahrsamsordnung will sich die AL wenden: Die Verhältnisse in der Kruppstraße, so Stohmaier, sind ingesamt „katastrophal“.

wvb

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