: „Die Nacht der langen Messer“
■ In einer Geheimrede warnte der slowenische KP-Chef Milan Kucan vor einem Militärputsch
Am 29.März hielt der slowenische Parteichef Milan Kucan vor dem ZK-Plenum eine Geheimrede. Aus dem Text, dessen Echtheit niemand bestreitet, wollte 'Mladina‘ unter der Überschrift „Die Nacht der langen Messer“ am 13.Mai Auszüge veröffentlichen. Die Zeitschrift der KP-Jugend wurde daraufhin vor der Drucklegung zensiert. Doch Kopien der Geheimrede kursieren seitdem im Lande. Aus ihnen geht hervor, daß ohne Wissen der Partei- und Staatsführung ein „Militärrat“ gegründet worden ist. Militärräte waren schon zweimal zur Niederschlagung von Aufständen einberufen worden. Gedankenspiele hoher Militärs, den „Slowenischen Frühling“ zu beenden, wurden aufgrund dieser Veröffentlichung zur Gewißheit, die seitdem auch niemand mehr in Jugoslawien abstreitet. Der Stenogrammtext der Rede, von der wir hier Auszüge dokumentieren, liegt der taz vor.
„Ich bekam die Papiere erst am Freitag um die Mittagszeit. Wir vervielfältigten sie; und die Sitzung wurde dann im großen Rahmen abgehalten. Es war außer zwei Mitgliedern das gesamte ZK Sloweniens anwesend. Wir setzten uns sehr ausgiebig mit den Dokumenten auseinander. Doch es gab darin Einschätzungen, die von uns nie und nimmer geteilt werden können..., denn sie sind weder objektiv noch realistisch. Das bezieht sich vor allem auf die Behauptung, in Slowenien herrsche eine Konterrevolution.
Kommunisten sind überall in der Defensive, denn nirgends gibt es positive Resultate... Der Sozialismus ist in der Krise, in Jugoslawien und weltweit, das sagte auch Gorbatschow, wenn ich ihn richtig verstanden habe, in Ungarn im Gespräch unter vier Augen (Gorbatschow traf den slowenischen Parteichef Anfang März, d. Red.)... Deshalb beantragen wir, daß das Parteipräsidium eine Klarstellung gegenüber der Haltung des Militärs vornimmt. Unser Antrag basiert auf folgenden drei Punkten: Erstens heißt es in den Papieren, daß offen organisierte staatsfeindliche Kräfte einen Spezialkrieg mit subversiver Zielsetzung einleiteten. Zweitens erklärte mir gestern Genosse Bosko (Bosko Krunic war bis vor kurzem Parteichef Jugoslawiens), daß selbst er von den Absichten des Militärrats nicht die geringste Ahnung hatte. Das gleiche teilte am Samstag in einem Telefongespräch Genosse Mojsov (Staatspräsident Jugoslawiens) dem Genossen Stane Dolanc (Stellvertretender Staatspräsident Jugoslawiens) mit. Auch er sagte, er habe von den Absichten keine Ahnung. Bedeutet das, daß der Militärrat ein eigenständiges Organ des politischen Lebens im Land ist, daß er selbstständig derart weitreichende Einschätzungen abgeben kann?... Drittens, und das bezieht sich auf Anweisungen, die man dem Kommandanten des Armeebezirks (von Ljubljana) aufgetragen hat - der fragte uns, ob wir imstande seien, Herr der Situation zu bleiben, die nach den Verhaftungen entstünde. Denn man geht davon aus, daß danach das Volk auf die Straßen gehen wird, und dann sei es die Pflicht des Militärkommandanten, seinen Bereich, „die Kasernen und die Militärpersonen, zu schützen.“ Die Genossen Parteisektretär und Parteiuntersekretäre waren aber der Meinung, ohne uns könne darüber nicht entschieden werden. Sie suchten mich, fanden mich und gemeinsam mit Dolanc diskutierten wir. Wir lehnten ein solches Vorgehen natürlich ab, denn das hätte nicht wiedergutzumachende politische Folgen, für die eine politische Führung keine Verantwortung übernehmen kann. Dabei mußte auch ins Auge gefaßt werden, was für Folgen ein solches Vorgehen auf der internationalen Ebene hätte, angefangen bei unseren Nachbarn Italien und Österreich...
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