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Sloweniens Reformfrühling

Über dem Büroschreibtisch des jetzt inhaftierten Redakteurs David Tasic hängt ein Plakat - eine Bilderfolge in vier Teilen. Zunächst sieht man nur einen großen Sandhaufen. Im zweiten Bild wächst daraus eine Mauer aus Natursteinen, sie hat die Form von Hammer und Sichel, in ihrem Schatten vögeln zwei Teenager. Das dritte Bild: Die Mauer hat Risse bekommen, Hammer und Sichel zerbröckeln. Zuletzt ist alles wieder zerfallen - zum gleichen Sandhaufen wie am Anfang.

Das Gefühl, Jahrzehnte vertan zu haben, einer Illusion nachgelaufen zu sein, statt dessen einen dogmatischen Sozialismus aufgebaut zu haben - solche Gedanken dürfen neuerdings in Slowenien, der an Österreich grenzenden Alpenrepublik Jugoslawiens, frei geäußert werden. Anders in den südlichen Republiken der Föderation. In Belgrad hört man aus dem Munde des serbischen Parteichefs Milosevic nur, daß die Ideale der Revolution heilig sind und die „Restauration des bürgerlichen Kapitalismus eine große Gefahr“ darstellt. Da hört sich Milan Kucan, der oberste Kommunist Sloweniens, ganz anders an: „Ein Sozialismus, der - mit den Worten Churchills gesprochen - nichts gebracht hat als eine gerechtere Verteilung der Armut, kann uns nicht stimulieren. Unsere Frage lautet daher: Ist die Kommunistische Partei eine Partei der Ordnung oder der Entwicklung? Unsere Sorge kann es nicht sein, in der Partei eine einheitliche Auffassung über die Probleme zu haben - wichtiger ist, daß wir die Probleme überhaupt wahrnehmen.“

Seinen Ursprung hat der Streit um den richtigen Weg in der Wirtschaft. Während die Alpenrepublik Slowenien nur 2,3 Prozent Arbeitslosigkeit ausweist, hat der Süden in Kosovo fast 55 Prozent Arbeitslose. Das durchschnittliche Einkommen der Slowenen beträgt mit 500 DM fast das Doppelte der Serben. Gut ein Drittel aller jugoslawischen Exporte stammen aus Slowenien, obwohl diese Republik nur 8,4 Prozent der Bevölkerung stellt. Neid wird da wach in Belgrad, wo man die Stärke der Slowenen fürchtet und sie unter dem Deckmantel der reinen Lehre stärker reglementiert. Die Slowenen dagegen haben auch in Belgrad versucht, ihre wirtschaftliche Stärke in politische Macht umzumünzen. Sie stellten einen Mißtrauensantrag gegen den jugoslawischen Regierungsschef Branko Mikulic, blieben aber in der Abstimmung allein.

Wen wundert es, daß in einem solchen Klima 'Mladina‘ als Blatt der Jugend-KP noch weiter ging und in einem „Aufruf an die Verteidiger des Vorkriegskommunismus“ polemisierte: „Solange ihr uns unter der Überschrift Revolution folgendes verkauft: 22 Prozent Inflation, eine sterbende Wirtschaft, über 20 Milliarden Dollar Auslandsschulden, Arbeitlose und Haftstrafen für Meinungsdelikte - so lange bleibt uns wirklich nichts anders als die „Konterrevolution“. Wir fordern: einen konsequenten Rechtsstaat, Gedanken-, Presse und Versammlungsfreiheit, unabhängige Gerichte und daß das Monopol des Bundes der Kommunisten zerschlagen wird...“ Es hagelte zwar immer wieder Proteste von den Konservativen, die Zeitung wurde unzählige Male zensiert, verboten, eingestampft, aber: die Auflage stieg von 20.000 auf beinahe 100.000. Und die Redaktion spielte schon mit dem Gedanken, aus der Wochen- eine Tageszeitung zu machen. Bis dann die Verhaftungen kamen.

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