: Dichtung und Wahrheit über DDR-Punks
■ Die DDR-Autorin Daniela Dahn schrieb ein Buch über den Prenzlauer Berg / Die Reportagensammlung erschien im Osten und Westen /Ein Gespräch mit einem Punk: Ist Punk-Sein neofaschistisch
... Warum wird man eigentlich Punker, weil's schick ist?
Schick ist es überhaupt nicht, eher antischick. Punk heißt für mich: Mach, was du willst. Anders sein als die Spießer, nicht in eine Norm pressen lassen, eben urst fun-mäßig leben. Die ersten Tage, als ich den aufgestylten Iro hatte...
Bitte was?
Mann, den Irokesen, die Frisur...
Ach so.
Also, die ersten Tage habe ich mich nicht direkt geschämt, aber früh beim Blick in den Spiegel brauchte ich immer ein paar Minuten, um mich schön zu finden. Nach vier Wochen ging's. Ich weiß, daß ich geil aussehe. Man trägt das, was man am wenigsten mag, um zu schockieren. Meine schweren Lederstiefel, Lederjacke, gestreifte Hosen, Pyramiden-Nieten -Armbänder, Metallgürtel und Hosenträger, alles total Fallschirmspringer von der Bundeswehr.
Bundeswehr magst du also nicht?
Nee. Überhaupt keine Armee, nichts, was den Staat stützt. Wir zeigen, daß es noch Faschis gibt. Müßtest mal erleben, wie oft wir belegt werden, um Schlägereien und mehr gegen uns zu provozieren. Ich werde täglich angepöbelt, die schlimmsten Beschimpfungen, bis zu: Sowas müßte man vergasen!
Denjenigen würde ich anzeigen!
Sinnlos. Punker kriegen niemals Recht. Auch wenn sie was Richtiges machen. Voriges Jahr wollten wir zum 8.Mai im KZ Sachsenhausen Kränze für die Opfer des Faschismus niederlegen. Durften wir nicht, weil der Antifaschismus bei uns sowieso Staatsdoktrin ist.
Wahrscheinlich ist eure Absicht als provokatorisch, zumindest als unseriös empfunden worden.
Aber wieso denn? Komm, ich zeig dir was, da wirst du staunen!
Ich zahle die beiden Bier, erleichtert, nicht mehr stehen zu müssen. Dann gehen wir die Knaak-Straße lang, wohin, weiß ich nicht.
Und was sagen deine Eltern dazu?
Ach, meine Eltern sind totale Spießer, Genossen in vertrauensvoller Stellung, mit Villa und allem Komfort. Die haben mir fast 18 Jahre Vorschriften gemacht. Ich mußte mit 17 noch pünktlich zum Abendbrot sein und durfte meine Freundin nicht mitbringen, weil sie ihnen nicht gefiel. Kurz vor Weihnachten haben wir uns dann endgültig verkracht. Bin ich weg von zu Hause und hab 'ne Wohnung in der Dunckerstraße besetzt. Das war'n meine ersten Weihnachten allein. Das Radio mit den Liedern hab ich gleich abgestellt. Hatte ganz schön Weihnachtsfrust, war urst beschissen.
Was gefällt dir eigentlich?
Alles, was ich gern hatte, hat man mir kaputtgemacht. Autoklempner zum Beispiel, was ich nach der Zehnten gelernt habe, hat mir urst Spaß gemacht. Aber ich hab‘ mit meinem aufgestellten Iro gearbeitet und bin nur angeeckt, war'n so'n paar Superfaschis unter den Kollegen. Eine Woche vorm Facharbeiter konnte ich nicht mehr, hab‘ ich aufgehört. Oder Reisen. Ich hab mal als Auszeichnung vom Betrieb mit andern Lehrlingen 'ne Reise nach Leningrad bekommen. Ich mit dem Iro. Die wollten mich schon in Schönefeld nicht fliegen lassen. Mußte mich splitternackt ausziehen, dann haben sie noch in die Ohren gekuckt und in den Arsch, das Westgeld haben sie trotzdem nicht gefunden. In Leningrad dann urstes Gegaffe von allen, wie'n Weltwunder. Bin deshalb zum Schutz hauptsächlich mit den Westpunkern rumgezogen, die auch da war'n. Hab‘ selten unser Programm mitgemacht, nur zur Eremetage und so, was mich interessierte. Zu Hause dann Vorladung von der Polizei: Sie sind es nicht wert, ins sozialistische Ausland zu reisen! Dann haben sie mir den Personalausweis abgenommen, hab‘ jetzt nur den PM 12 ...
Was hast du?
Na, so'n vorläufigen Ausweis, damit komme ich nicht mal in die CSSR. Und in der Stadt mußt du ja bei jedem Bullen sofort den Ausweis zeigen. Wenn die den PM 12 sehen, denken die gleich, du hast auch noch den 48er...
Was?
48er, kann zum Beispiel Berlin-Verbot sein. Da mußte denn mit auf's Amt, und da wird urst lange geprüft, und denn kannste wieder gehn. Ist mir x-mal passiert. Oder die Zeit als Gitarrist war auch total stark. Ich war bei der Band „Klassenkrampf“. Obwohl ich nur drei, vier Griffe kann. Aber die Punk-Bands können alle keine Noten, die Musik ist einfach, es geht mehr um den Inhalt...
Wir sind inzwischen auf die Prenzlauer gebogen. Auch, wenn es die Bands nicht mehr gibt, Punker sieht man doch noch eine ganze Menge.
Haltet ihr zusammen?
Punker sind totale Individualisten, jeder ist anders. In West-Berlin gibt es so drei- bis viertausend Punker, davon sind höchstens zehn Prozent echte. Bei uns gibt's ungefähr tausend, aber das ist keine einige, solidarische Gruppe. Viele sind untereinander zerstritten. Ich hab‘ mich auch total abgeseilt. Die meisten sind mir zu primitiv. Ein paar treffe ich jeden Freitag im Haus der Jungen Talente. Das ist die einzige Disko in Berlin, wo wir reingelassen werden. Weil sie da alle zentral unter Kontrolle haben. Wir gehen aber trotzdem hin, da entschuldigt nur Krankheit oder Tod. Ein anderer Treff ist der Kult...
Wer?
Ich habe es längst aufgegeben, als Insider gelten zu wollen.
Ist ja belastend, der Kulturpark natürlich. Da ist mir Folgendes passiert: Als ich mit Autoklempnerei aufgehört hatte, war ich doch ein halbes Jahr arbeitslos. Ich wollte ja nicht arbeiten, aber wenn ich gewollt hätte, hätte ich auch keine gekriegt. So hatte ich nur die sieben Mark Unterstützung am Tag. Da hat mich im Kult so'n Müsli fotografiert. Ich hin: Fünf Mark oder Film! Der hat aber keine Anstalten gemacht, hab‘ ich so'n bißchen gerempelt, kam gleich ein halbes Dutzend hinter den Ecken hervor und wollten mich zusammenschlagen. Da ging plötzlich ein Mädchen dazwischen, das ich in der Szene nie gesehen hatte. Die hatte einen doppelt so hohen Iro wie ich, aber nicht aufgestylt, weil sie dann nicht rübergekommen wär‘, sondern der guckte unter einer Schiebermütze vor. Dann ganz kurzen Schottenrock, Netzstrümpfe, eine Brust fast frei, als Ohrring 'ne kleine Plastetüte mit Wasser drin, in dem Perlen schwammen. Und dann noch ein Ring in der Nase. Total verschärft. Na, als sie loslegte, sind die andern vor Schreck abgehau'n. Und wir haben uns noch am selben Abend verlobt. Ich hab dann einen Ausreiseantrag gestellt. Meine Freunde sind ja sowieso alle schon drüben oder im Knast... Manche sagen, Punker müssen total im Dreck leben, man dürfe zum Beispiel keine Digital-Uhr tragen, sonst wäre man ein Plasticpunk. Das ist natürlich Quatsch. Die echten, das sind die Hardcorepunks. Das sind die, die lange dabei sind und für immer. Die Rocker und Popper haben wirklich nur so'n Modeflitz. Aber die Skinheads, die mit den kahlen Köpfen oder kurzen Stoppeln, sind zum Teil wirklich rechtsradikal. Na ja, und dann die Hippis, Müslis und Intis. Ich kenne Hippis, die sind echt in Ordnung. Leider fahren sie auf Konsum ab. „Arbeit muß sein“, belehren sie und fragen einen ewig nach dem Sinn des Lebens. „Fun“, sage ich dann, aber das begreifen sie nicht. Die Müslis sehen alle gleich aus, sind gealterte Hippis, echt belastend. Lange Haare, Jeans, Levis-Jacke, Fleischer-Hemd, Parka - total einfallslos.
Was bin ich eigentlich in deinen Augen?
Du?
Der Fall ist für ihn längst geklärt, er zögert nicht:
Du bist eine Uralt-Hippi-Braut.
Ich lache, weiß nicht, ob ich gekränkt oder geschmeichelt sein soll.
Die Intis unter den Hippis wollen immer ausdiskutieren. Da muß alles logisch sein: Mußt doch 'ne Begründung haben, warum du rote Haare hast und nicht grüne! Und dann agitieren sie einen: Werd‘ doch lieber 'n Hippi! Immer dasselbe Gelaber im Cafe Skala. Und nach zehn Minuten sind se beim Frieden. Das bringt doch nichts. Die lesen immer nur und bilden sich. Haben so'ne zusammengelesene Sprache.
Im Gegensatz zu dir.
Ja, bestimmt. Denn ich lehne Lesen ab. Weil ich nicht auseinander halten kann, was ehrlich gemeint ist und was nicht. Die Intis gehaupten, wenn du dieses oder jenes Buch nicht gelesen hast, hast du umsonst gelebt. „Märkische Forschungen“ von de Bruyn zum Beispiel. Kann ich nichts mit anfangen...
Plötzlich gelingt es ihm, auch mich zu schocken:
Und hier siehst du, was ich dir zeigen wollte, das Grab von Horst Wessel!
Was, der von dem Lied?, sage ich verwirrt.
Na klar, der SA-Sturmführer.
Ich sehe kein Grab, sondern ein Nichtgrab, zwischen Hügeln eine eingeebnete Fläche, über die Gras gewachsen ist. Spinner, denke ich wieder.
Das Grab haben die Russen sofort beim Einmarsch vernichtet, finde ich total stark, daß die dafür Zeit hatten. Wir soll'n bloß nicht immer so tun, als gäbe es bei uns nicht auch so'ne Knochen.
Ein Wärter kommt und bittet uns zu gehen, er möchte dann den Friedhof abschließen. Ich nutze die Gelegenheit, mich für Sonntag bei ihm anzumelden, weil ich ein paar Fragen hätte. Ja, er sei immer da.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen