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Krebserregendes Gift im Fernwärmewasser

Stadtwerke Heidelberg kippten Rostschutzmittel ins Netz / Gefahr bei Durchbruch des Fernwärmewassers in Trinkwasserleitungen / Für die Kontrolle gültiger DIN-Normen fühlt sich keiner zuständig / Direktor der Wasserwerke verteidigt Giftpanscherei  ■  Aus Heidelberg Wolfgang Luck

Die Heidelberger Stadtwerke (SWH) haben ihrem Fernwärmewasser jahrelang unter Mißachtung gültiger Rechtsvorschriften das krebserregende Rostschutzmittel Hydrazin beigemischt. Das berichtet die Heidelberger Wochenzeitschrift 'Communale‘ in ihrer letzten Ausgabe. Sie beruft sich dabei auf hausinterne Papiere der Heidelberger Stadtwerke. Hydrazin führt, wenn es mit der Haut in Berührung kommt, zu Rötungen und Verbrennungen, kann Leber und Nierenschäden verursachen und ist im Tierversuch als krebserregend nachgewiesen.

Wie gefährlich das Rostschutzgift ist, weiß man spätestens seit August 1985. Damals kam es in Wiesbaden zu einem Durchbruch hydrazinverseuchten Fernwärmewassers in die Trinkwasserleitungen einer Schule, eines Kindergartens und mehrerer Privathäuser. Nach sofort eingeleiteten Reihenuntersuchungen fand man im Blut dreier Kinder Spuren von Hydrazin. Als Lehre aus dem Skandal von Wiesbaden wurden im November '86 die Richtlinien des Deutschen Institutes für Normung (DIN) geändert: danach ist die Hydrazin-Panscherei ausdrücklich verboten.

Das Gift wird heute nach Aussage des Bundesgesundheitsamtes als so gefährlich eingestuft, daß es nicht einmal einen unteren zulässigen Grenzwert gibt. Trotzdem verteidigte der Chef der Heidelberger Wasserwerker, Dr.Ing.Andreas Christou, die Giftmischerei mit dem erstaunlichen Argument, eine Gefährdung habe bei den „in Heidelberg eingehaltenen Konzentrationen nie bestanden“.

Christous Vernebelungsversuche scheiterten allerdings am Betriebsrat der Stadtwerke, der im Aufsichtsrat des städtischen Unternehmens Alarm schlug und die Beimischung (bis zu 2,5 Milligramm pro Liter) im Mai dieses Jahres stoppte. Beim hausinternen Streit der SWH kam außerdem heraus, daß es auch in Heidelberg dreimal zu Durchbrüchen von Fernwärmewasser ins Trinkwasser gekommen war. Der erste davon 1985, also im gleichen Jahr, als der Skandal von Wiesbaden bundesweit Wellen schlug. Trotzdem kam bei den Stadtwerken keiner auf den Gedanken, die Panscherei einzustellen. Dabei sind es genau diese Durchbrüche, die die Beimischung des Rostschutzgiftes so gefährlich machen. Normalerweise fließen Fernwärme- und Trinkwasser in getrennten Kreisläufen, und wo Fernwärmewasser nur durch Heizungen läuft, ist eine Giftbeimischung theoretisch auch unbedenklich. Das heiße Fernwärmewasser hat in vielen Haushalten allerdings auch die Aufgabe, Trinkwasser zu erwärmen. Dabei fließt das Fernwärmewasser in sogenannten „Wasswerwärmern“ durch dünnwandige Spiralen, die mitten im Trinkwasser sitzen. Rostet eine Spirale oder wird sie porös, tröpfelt das Fernwärmewasser ins Trinkwassernetz und landet samt beigemischtem Hydrazin direkt in den Wasserhähnen der Haushalte.

Längst gibt es, um die Fernwärmeleitungen vor Rost zu schützen, ganz ungefährliche Verfahren. Entzieht man zum Beispiel dem Fernwärmewasser vor der Einleitung ins Netz den Sauerstoff und entsalzt es, wird die Hydrazinpanscherei überflüssig. Diese unbedenkliche und rechtlich zulässige Rostschutzmethode kommt allerdings teurer als die hemmungslose Giftmischerei.

Daß nur die Heidelberger Stadtwerke mit Hydrazin gepanscht haben sollen, ist unwahrscheinlich. Zumindest in Baden -Württemberg bleibt die Einhaltung der gültigen DIN-Normen dem guten Willen der Wasserwerker selbst überlassen. Für die Kontrolle fühlt sich weder das Bundesgesundheitsamt verantwortlich noch das Stuttgarter Umweltministerium, das „gewisse Schwierigkeiten mit der Zuständigkeit einräumt“. Und das betroffene Gewerbeaufsichtsamt in Mannheim läßt verkünden, man kümmere sich zwar um den Schutz von Arbeitnehmern, die mit Giftstoffen arbeiten; mit der grundsätzlichen Frage aber, ob die Stoffe überhaupt zugelassen seien, beschäftigt man sich nur dann, wenn diese auf der Gefahrstoffverordnung stehen. Dies ist bei Hydrazin zwar der Fall, war dem zuständigen Amt aber nicht bekannt. Auch die Arbeitsgemeinschaft Fernwärme in Frankfurt, ein Zusammenschluß der Anbieter, hat keinen Überblick, ob in weiteren bundesdeutschen Städten mit Hydrazin gearbeitet wird. Die Frankfurter Fernwärmespezialisten gehen fälschlicherweise sogar davon aus, daß die Beimischung von Hydrazin noch gar nicht definitiv verboten ist.

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