: Somalische Guerilla vor den Toren Berberas
Kämpfe zwischen Guerillas und somalischer Armee um strategisch wichtige Hafenstadt am Roten Meer / Somalische Regierung hat erstmals Berichte über Kämpfe im Norden des Landes bestätigt / Zivilbevölkerung flüchtet nach Äthiopien ■ Von Knut Pedersen
Berlin (taz) - Im Norden Somalias herrscht seit zwei Monaten offener Bürgerkrieg, den die Regierung in Mogadischn zu verschweigen sucht, obgleich bereits 200.000 Flüchtlinge ins Nachbarland Äthiopien geflohen sind. Jetzt steht die Guerilla vor den Toren der strategisch wichtigen Hafenstadt Berbera, am Eingang des Roten Meeres.
Seit einer Woche bereits liefern sich die reguläre Armee und die Guerilla der „Somalischen Nationalbewegung“ (SNM) heftige Kämpfe um die Kontrolle der Hafenstadt Berbera, die der US-Navy als Stützpunkt im Golf von Aden dient. Entgegen früherer Meldungen sind die SNM-Truppen allerdings noch nicht ins Innere der Stadt eingedrungen; dies bestätigte gestern in einem Telephoninterview der Sprecher der Guerillabewegung in London. „Wir haben die Garnison am Eingang von Berbera umzingelt, aber im gesamten Umfeld der Stadt wird noch immer gekämpft“, erklärte gegenüber der taz Adam Abdi Hussein. Seine Darstellung wird von Informationen aus Diplomatenkreisen in Nairobi bestätigt, in denen von „sporadischen Kämpfen in einem Umkreis von rund 40 Kilometern um Berbera“ die Rede ist. Die somalische Regierung in Mogadischu, die wochenlang den Guerillakrieg im Norden totzuschweigen suchte, hat vorgestern zum ersten Mal „heftige Kämpfe“ um zwei andere Städte im Nordwesten bestätigt. Es handelt sich um Burao und die Provinzhauptstadt Hargeisa, die nach Darstellung der Somalischen Nationalbewegung bereits Ende Mai erobert wurden.
Aus der Gegend evakuierte Europäer und Reisende haben ebenfalls von Kämpfen berichtet. Ihnen zufolge ist Hargeisa, die zweitgrößte Stadt Somalias, von heftigen Luftangriffen Ende Mai weitgehend zerstört worden. „Ganze Stadtviertel wurden dem Erdboden gleichgemacht und sind nunmehr eine Anhäufung von Steinen und Wellblech“, schilderte ein französischer Arzt. Er und andere westliche Helfer waren Zeugen grausamer Ausschreitungen von seiten der Regierungstruppen, die vor ihrem Abzug die Innenstadt plünderten und vermeintliche „Sympathisanten“ der Guerilla kurzerhand an die Wand stellten.
Flucht nach Äthiopien
Nach Schätzung der somalischen Nationalbewegung sind „rund 300.000“ Zivilisten aus den umkämpften Gebieten ins nachbarliche Äthiopien geflohen. Ende Juni hat der stellvertretende äthiopische Innenminister Marsha Kessetla von mindestens 100.000 somalischen Flüchtlingen gesprochen. Das Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) schätzt heute die Zahl der im östlichen Äthiopien in Lagern versammelten Somalier auf mehr als 200.000. Den Statistiken des UNHCR zufolge haben sich seit Anfang Juni täglich rund 4.000 Menschen über die Grenze gerettet. Totzdem leugnet die Regierung in Mogadischn die grausame Wirklichkeit des Bürgerkriegs im Norden. Nach offizieller Darstellung ist „die Lage in den Nordprovinzen seit Ende Juni wieder normal“.
Staatsarmee mobilisiert
Dem freilich widerspricht die massive Mobilisierung der somalischen Staatsarmee, die mittlerweile in der Hauptstadt alle verfügbaren geländegängigen Wagen requiriert.
Auch werden zunehmend para-militärische Truppen ausgehoben, die an Stelle regulärer Streitkräfte in den Norden geschickt werden. Denn General Siad Barre - seit 1969 an der Macht muß ein Aufflammen der Guerillaaktivitäten auch im Süden fürchten. Hier kämpft die „Demokratische Front fürs Nationale Heil“ ebenfalls gegen eine Regierung, die außer „wissenschaftlichem Sozialismus“ vor allem Vetternwirtschaft betreibt: Die wichtigsten Posten im Staatsapparat und der Militärhierarchie werden vom weitverzweigten und heillos intrigierenden Barre-Clan besetzt.
Ironischerweise hat Siad Barre sein Regime dadurch in Gefahr gebracht, daß er nach zehnjährigem Kalten Krieg mit dem äthiopischen Nachbarn endlich Frieden schloß. Am 3.April unterzeichneten die beiden Staaten, die 1977/78 einen verheerenden Krieg um die Ogadenprovinz ausgetragen hatten, einen Friedenspakt, der vor allem der wechselseitigen Unterstützung innerer Opposition ein Ende setzen sollte. Das freilich provozierte die Flucht nach vorn der „Somalischen Nationalbewegung“: Ohne äthiopische Unterstützung und - vor allem - ohne ihre sicheren Stützpunkte jenseits der Grenze suchten die SNM-Guerillas ihr Heil im Angriff. Nach den überraschenden Erfolgen seit Ende Mai steht offen, wie lange sie ihren siegreichen Vormarsch durchhalten können.
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