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Hamburg in den Freizeitrausch

Senat erteilt noch immer keine Baugenehmigung für Flora-Musical im Schanzenviertel / „Cats„-Produzent Kurz will Stadt regreßpflichtig machen / Anwohner laufen weiter Sturm  ■  Aus Hamburg Axel Kintzinger

Henning Voscherau grinste, wie nur er es kann: „Ich versichere Ihnen, daß es keine Besuchspflicht für alle diese Veranstaltungen geben wird.“ Ein Rundfunkjournalist hatte Hamburgs Ersten Bürgermeister gefragt, ob das „Hoch im Norden“ mit Musicals wie „Cats“, mit kulinarischen Massenveranstaltungen wie den „Stuttgarter Weindörfern“, Mammut-Hafengeburtstagsfeiern und nun auch noch dem Bau des neuen Theaters auf dem Flora-Gelände, nicht zum „Freien und Hansaland“ verkomme. Den darin enthaltenen Vorwurf, daß damit aus der Kulturmetropole Hamburg ein einziger Freizeitpark werde, möchte weder Voscherau noch sein Stellvertreter, Kultursenator Ingo von Münch (FDP) auf sich sitzen lassen. Aber sicher nicht aus diesem Grunde konnte sich der sozialliberale Senat auch auf seiner letzten Sitzung am Dienstag nicht zu einer Baugenehmigung für das Musical-Haus an der Stelle des alten Variete-Theaters Flora durchringen. Zuerst müßte er noch „Schulaufgaben“ erledigen, wie Voscherau das ausdrückt. Was er damit meint: In erster Linie soll die „Akzeptanz“ des im Szene- und Ausländerstadtteil Schanzenviertel verschrieenen Neubaus gesteigert werden - eine kaum lösbare Aufgabe bei der momentan massiven Polizeipräsenz in diesem Viertel sowie der bereits als „Brokdorfisierung“ bezeichneten Abschottung der Baustelle. Voscherau schob diesen Fehler gekonnt auf seinen Vorgänger ab - und auf Kultursenator von Münch: Da habe wohl im Überschwang der Freude über das Projekt die Präzision bei der Umsetzung gelitten, meinte der Regierungschef, ohne seinen Vize dabei anzusehen. Der aber hatte verstanden und schob mürrisch nach, daß sein Kulturressort schließlich keine „Parkplatzgenehmigungsbehörde“ sei. Einig sind sich die Koalitionäre jedoch, den Bau eines großen Musical -Theaters durch private Investoren prinzipiell zu begrüßen.

Dem zukünftigen Bauherren reicht das allerdings nicht mehr. Fritz Kurz, Produzent von so erfolgreichen Unternehmen wie „Cats“ auf der Reeperbahn und „Starlight Express“ in Bochum, zweifelt mittlerweile an der Ernsthaftigkeit des Senats, sein Flora-Projekt durchzusetzen. Nach der neuerlichen Vertagung der Baugenehmigung platzte Kurz der Kragen. Er fühlt sich getäuscht und denkt nun über rechtliche Schritte nach. Durch die neuerliche Verzögerung des „vertragsbrüchigen“ Senates entstünden Mehrkosten, und für die soll nun die Hansestadt aufkommen. Das Vorhaben, bereits zum 800.Hafengeburtstag im kommenden Mai mit dem Lloyd Webber-Stück „Phantom of the opera“ die Flora-Spielzeit zu eröffnen, mußte Kurz sich ohnehin schon abschminken. Wenn dann führende Sozialdemokraten wie der stellvertretende Fraktionschef Leonhard Hajen zudem öffentlich über einen anderen Standort für Hamburgs zweites Musical-Spektakel nachdenken, überlegt sich Kurz, in Sachen Flora das Handtuch zu werfen. Für den Vollblut-Manager ist schon der Protest unverständlich - immer wieder betont er, schließlich „ein Theater und kein Atomkraftwerk“ im Schanzenviertel errichten zu wollen.

Die Proteste gehen indes weiter. Auch nach der Vertagung der Entscheidung demonstrierten Dienstag abend mehrere hundert Menschen gegen den Theaterbau. Ihre (politische) Kultur las sich unter anderem so: „Punkt, Punkt, Komma, Strich - Kurz, du kriegst das Flora nicht!“

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