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Orakelnde Antworten auf rätselhafte Fragen

Mohammad Ali Hammadi wechselt zwischen Aussagefreude und Verweigerung / Das Alter des Angeklagten ist noch immer nicht eindeutig zu bestimmen / Hammadi kämpfte in Beirut und in seinem Heimatdorf im Südlibanon gegen Israel  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Mit einem riesigen Aquarium, mit einem überdimensionalen Bildschirm ist der Ort des Geschehens hinter der Trennscheibe verglichen worden. Das beschreibt die unwirkliche Atmosphäre im Prozeß gegen den Libanesen Mohamad Ali Hammadi, verniedlicht aber die Tatsache, daß das Verfahren vor der Jugendkammer des Frankfurter Landgerichts unter Ausschluß der Öffentlichkeit, eben hinter einer Trennscheibe stattfindet.

Die Öffentlichkeit hört nur, da über Mikrophonanlage geredet wird. Markante Stimmen wie die sich einschmeichelnde, gefühlige des Vorsitzenden Richters Heiner Mückenberger, und die Schärfe des Nebenklage-Vertreters, Rechtsanwalt Dr. Rainer Hamm, lassen sich heraushören. Wer da aber sonst redet, ist auf die Entfernung kaum zu erkennen. Die Verfahrensbeteiligten sitzen zu weit weg. Gesten und Mimik sind kaum auszumachen, die Stimmen oft nicht zuzuordnen.

Ebenso wenig allerdings hört das Gericht das Blitzgewitter spöttischer und ärgerlicher Bemerkkungen der PressevertreterInnen auf der anderen Seite der Barriere. Der pure Selbstschutz, das diffuse Licht hinter der Scheibe und der Gleichklang der Mikrophone schläfern ein. Wach halten allenfalls die Kälte der Klimaanlage und Mißfallensrufe der KollegInnen.

Dabei wäre ungeteilte Aufmerksamkeit vonnöten, denn nichts ist einfach an diesem Verfahren gegen den Mann, der am 14.Juni 1985 eine Boeing 724 der Trans World Airways (TWA) entführt und den Marinetaucher Robert Stethem erschossen haben soll. Das Gericht verhandelt eine Tat, die in Athen, Beirut und Algier vor allem an amerikanischen Staatsbürgern verübt wurde. Der Sprengstoffschmuggel, der Hammadi im Januar 1987 in ein bundesdeutsches Gefängnis brachte, wiegt da wenig. Überdeutlich steht die Frage im Raum, wann der Hoechst-Manager Rudolf Cordes, der seit anderthalb Jahren im Libanon gefangen gehalten wird, freigelassen werden wird. Für das Leben des Managers, der in den Händen der Partei Gottes, „Hiszb'allah“ ist, ist der Ausgang dieses Verfahrens von Bedeutung.

Der Angeklagte ist ein kleiner, dunkelhaariger Mann mit einem solchen Dutzendgesicht, das man sofort wieder vergißt. Da ist nichts Typisches für seine arabische Herkunft, er könnte auch aus jedem anderen Land am Mittelmeer kommen. Der Schnauzbart, den er bei seiner Verhaftung trug, ändert daran nichts. Hätte er noch einen Vollbart, wie zu dem Zeitpunkt, als er Zeuge sein mußte im Verfahren gegen seinen Bruder Abbas (dem die Cordes-Entführung zur Last gelegt wird), wäre das Auffällige an ihm eben nur dieser Vollbart.

Jetzt ist der Bart ganz ab. Dafür wird, wenn nicht der Bart, so doch der Prophet zur Triebfeder dessen, was Hammadi inzwischen eingesteht. Zur Überraschung aller Beteiligten hatte er schon am dritten Verhandlungstag zugegeben, wissentlich Sprengstoff in die Bundesrepublik gebracht zu habe. Vorher behauptete er, der sich immer wieder einen gläubigen Moslem nennt, er habe gedacht, die auf dem Frankfurter Flughafen in seinem Gepäck gefundenen Flaschen enthielten Alkohol.

Er habe, sagt Hammadi heute, auf höhere Weisung gehandelt. Eine hohe moslemische Person „mit viel mehr Bewußtsein als ich“ habe ihm den Sprengstoff übergeben, die Flugkarten von Beirut nach Frankfurt und die Spesen bezahlt. Er habe gehorchen müssen. Einen Namen will er nicht nennen. Faszinierend ist die Mischung von Aussagefreudigkeit und Aussageverweigerung, zwischen den Beteuerungen, jetzt aber wirklich die Wahrheit zu sagen und dem unbekümmerten Eingeständnis, daß dies und jenes, was er eben erst beteuert hatte, doch nicht die eine Wahrheit sei, sondern ab sofort eben eine andere zu gelten habe.

Ausführlich berichtet Hammadi über seine Kindheit im Südlibanon. Aufgewachsen ist er mit sieben Brüdern und drei Schwester, die aus ihrem Dorf nach Beirut flohen. Hammadi ist im Kampf gegen die israelische Besatzung großgeworden. Immer wieder kehrte er in seinen Heimatort zurück und kämpfte, wie er sagt, sowohl gegen die israelische Besatzungsmacht als auch gegen die „Kollaborateure Israels“, die libanesische Miliz und die Falange.

Einer organisierten Gruppe habe er nie angehört. In seiner Heimat habe jeder eine Waffe: „Die Bevölkerung wehrt sich.“ Andererseits seien auch alle politischen Parteien militärisch organisiert. Manchmal komme es vor, „daß in einer Familie alle Organisationen vertreten sind.“

Sein Bruder Fuad, hatte er in seinem 1983 gestellten Asylantrag berichtet, sei bei Kämpfen in Beirut neben ihm erschossen worde. Hammadi gibt nur eines der vielen Beispiele seines sybillinischen Aussageverhalten. War es wirklich sein Bruder, sind nicht alle Brüder? Kam er um und wann, wie und durch wen? Richter Mükkenberger erhält seltsame Auskünfte. „Ich war an seiner Seite, als er starb“, orakelt Hammadi, „das ist es, was ich sagen wollte.“ Das sei „vielleicht“ bei einem Kampf gewesen, „vielleicht“ aber auch bei einer Explosion, „vielleicht“ auch im Streit mit einer „anderen Organisation“.

„Waren Sie einmal im Iran?“ fragt das Gericht. Hammadi: „Ich habe die heiligen Stätten des Islam besucht.“ Und: „Für mich ist der Iran nicht der Iran.“ Mückenberger verliert an diesem vierten Verhandlungstag des öfteren die Geduld: „Es ist nicht wichtig, ob Sie den Iran für den Iran halten!“ Über Teheran sei er nach Mesches und Ghom gereist, dem Sitz des Ayatollah Khomenei. Ob er auch an der afghanischen Grenze zu tun hatte? Hammadi: „Ich bin nicht so gut in Geographie.“ Wo immer Afghanistan für ihn liegen mag, seine Kenntnis reicht zu einer Suada gegen die UdSSR aus. War er in Dubai, kennt er das Kinderlied „Backe, backe Kuchen“? Soche Fragen, die sich aus den Akten ergeben mögen, bleiben den ProzeßbeobachterInnen nicht minder rätselhaft.

An das Datum seiner Pilgerreise erinnert Hammadi sich nicht. Das regt den Vorsitzenden Richter an, seine Meinung kund zu tun. Einer, der gäubiger Moslem sei und das ernst nehme, müsse sich eigentlich erinnern. Überraschend bereitwillig berichtet Hammadi dann, daß die Reise von der mächtigen iranischen „Stiftung der Märtyrer“ bezahlt worden sei. Dieser finanziert den Familien gefallener Sodaten im Iran nicht nur Reisen, sondern auch Eisschränke, Waschmaschinen und anderen Komfort. Er habe die Reise machen dürfen, weil ein Mitglied seiner Famile gefallen sei.

Daß er zweimal versucht hat, sich umzubringen, ist einmal aktenkundig, wird ein anderes Mal vermutet. Daß er derjenige ist, als der er vor Gericht steht, sogar dieses wird an diesem Tage wieder einmal zweifelhaft. Sein sichergestellter Paß lautet auf den Namen Rida. Es zeigt ein Foto, auf dem unzweifelhaft er selber dargestellt ist. Das Foto, sagt er, sei Ende 1986 aufgenommen und in den falschen Paß eingeklebt worden. Die Dolmetscherin übersetzt einen Stempel auf der Rückseite des ausgelösten Fotos. Dort bestätigt ein „Mukktar“, ein Dorfältester oder Bürgermeister, jenem Rida die Identität mit einem Datumsstempel von 1982. Der normalerweise für den Betrachter unsichtbare Stempel sei, erklärt Hammadi, eben auch Bestandteil der Fälschung.

Eine von ihm behauptete Fälschung anderer Art macht ihm noch heute zu schaffen. Die kurz nach seiner Verhaftung von wem auch immer mobilisierten und inzwischen entpflichteten Anwälte Vater und Sohn Mahlberg aus Köln hatten zur Verwirrung beigetragen, indem sie Hammadi, um ihn vor ein Jugendgericht zu bekommen, heftig verjüngten. Er sei 1968 geboren. Dieses Phantasiedatum korrigierte Hammadi später auf eines, das auch in seinen Akten vorkommt und immer noch für das Jugendgericht ausreichte. Vorerst ist er 1964 geboren. Vielleicht ist er auch, sagt er, ein bis zwei Jahre jünger. Von dem auch ins Gespräch gebrachten Geburtsdatum 1962 will er allerdings gar nichts wissen.

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