: MACH'S GUT, MONSTER!
■ „Kargo Berlin“ zeigt „Amigo moi, no!“ im Opern-Parkhaus
Sechs Personen hat es auf die verschiedenen Ebenen eines Parkhauses, in seine Nischen und Winkel verschlagen. Sind sie die Überlebenden einer Katastrophe? Oder ist die Katastrophe das bloße Überleben, vor dessen nivellistischer Walze sie noch eine Spur Lebensgenuß zu bergen versuchen?
Ein Genuß freilich, der sich über die verkehrte Welt, in der das Individuum nur noch kraftlose Zeichen seiner Entfremdung findet, nicht erheben kann, vielmehr in ihr befangen bleibt. So weiß die Frau in Rosa in all ihrer naiven Freude nur von den Wonnen des Einkaufens und Essenzubereitens zu berichten. Ihre bekochende Fürsorge gilt offenbar dem Kind (einer Puppe), das sie noch unter dem Kleid verborgen trägt. Eine andere trippelt in heißer Erwartung ihres Mannes, dessen Nahen sie sich en detail vorerzählt. Wenn er dann nach ihrem exakten timing an der Tür erscheinen müßte, erwischt sie dort stets auf's Neue nur den selbst hingepappten Tapetensepp. Die dritte ist vor dem Spiegel in sprachverzweifeltes Selbstgespräch versunken: reif für den modernen Poetenzirkel.
Da wird er zu pathetischen Klängen auf einem Wagen hereingezogen: der Held der Geselligkeit, sei diese nun Fernsehshow oder Biertisch in der letzten Zuckung. Der weiß alle Witze, je billiger, desto obszöner und im Dutzend umsonst. Ihm folgt ein, wie es scheint, Schuhverkäufer, der sich jedes Paar Schuhe zur Obsession einer erotischen Paarbeziehung verdichtet. Wie als Personifikation seines um die Herrschaft ringenden inneren Tieres erscheint der Wilde im Hintergrund, seine verzückte Geste imitierend. Weißliche Traumgestalten folgen den Handelnden auf die Ebenen des psychischen Parkhauses, verbietend dem Obsessionsgeplagten, bestechlich dem Witzbold: gegen Geld lachen sie sogar.
Begegnungen: doch kaum, daß die Vereinzelten ihre selbstverliebte Phantasterei überwunden, gelernt haben, den anderen anzunehmen, schlägt die trughafte Gemeinschaft ins Lächerliche um. Oder ihr Handeln offenbart eine bemerkenswerte Logik: so, wenn die ihren Mann Erwartende den Wilden in den papiernen Anzug kleidet und so das Objekt ihrer Begierde zur Hohlform erklärt, in die jeder Männerleib paßt; oder wenn die kochwütige Mutter ihre verzehrende Liebe zu ihrem Kinde äußert, indem sie das eben Ausgeworfende selbst zubereitet.
„Amigo mio, no!“ (Konzept und Regie: Gerhard Hartmann) ist alles andere als ein sentimentales Stück über die Ausgeschlossenen oder die unmögliche Zwischenmenschlichkeit. Mit der Umbenennung in „Kargo Berlin“ hat das Theater „Gaukelstuhl“ nicht den Humor verloren. Es hat sich vielleicht der Trauer über diese Menschen überlassen, doch um aus ihr einen umso schärferen, schwarzen Humor zu befreien. Hier sehen Sie die Bestie von nebenan, wie sie leibt und das Leben verpaßt, ein modernes Menschsein, das Sie nie zu fürchten glaubten, surreal und realistisch, verrückt und wahr.
glagla
„Kargo Berlin“ zeigt „Amigo mio, no!“ bis zum 21.8. jeden Do -So um 21 Uhr im Parkhaus der Deutschen Oper, Zillestraße 50, 1-10.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen