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Schwarzer Humor vom weißen Mann

■ Ersatztourismus im Bereich der US-amerikanischen Literatur. Das Buch, auch ein Scherzartikel

Jürgen Witte

Es soll ja Leute geben, die nicht in die USA reisen, diesen Sommer. Damit sie sich im Herbst mit ihren Bekannten, die dann vollamerikanisiert zurückkommen, überhaupt noch unterhalten können, um denen womöglich zu ihrem Lieblingsthema noch Neues zu bieten, empfiehlt es sich, die fremdländische Kultur lesenderweise zu erschließen.

Humor ist einer der wenigen Exportartikel der USA, der nicht dick macht (Hamburger, Cola) und auch nicht dumm.

Als hierzulande noch Kampagnen gegen Schund und Schmutz veranstaltet wurden, als die Hoch-Kultur noch glaubte, mit öffentlichen Umtausch- und Verbrennungsaktionen ihr Monopol auf die Erbauung des gar nicht so erbauungswilligen Volkes verteidigen zu müssen, da war in den USA schon vomcamp die Rede. Populärkultur wurde damals, da man sich ernsthaft mit ihr beschäftigte, in den Kanon der richtigen Kultur aufgenommen. Kurt Vonnegut gelang mit seinem dritten Roman „Katzenwiege“ dieser Sprung vom Schund-Regal in die Abteilung der leinengebundenen (richtigen) Literatur. In genau dieser Ausstattung liegt er derzeit in den modernen Antiquariaten (unter zehn Mark) und jeder Vonnegut-Leser sollte sich diesen, meiner Meinung nach besten seiner Romane, nicht entgehen lassen, trotz des unmöglichen Titels. Damals, 1963, hat Vonnegut sich noch nicht so gequält, um seinen Standard von zwei Pointen pro Seite zustande zu bringen, und die Story war es noch wert, daß sie erzählt wird. „Katzenwiege“ beschreibt den Tag, an dem die Welt unterging, eigentlich war die Atombombe dafür vorgesehen, aber Vonnegut fällt noch was besseres ein, Eis-9. Die Story entführt auf eine karibische Insel, komplett mit Militärdiktatur und US-Investoren. Vonnegut erfindet eine Religion mit Gründerguru und Gleichnissen, die Castaneda und Bhagwan erbleichen lassen, und er schreibt mit Biß und trockenem Humor; man merkt mal wieder, wo Douglas Adams zur Schule gegangen ist.

Gut, Vonnegut kennt jeder, aber wer kennt Luke Rinehart? Und doch, auch der ist nur in Deutschland so etwas wie ein Geheimtip. Meine englische Taschenbuchausgabe hat es zur 19.Auflage gebracht. Allerdings steht dort auf dem Umschlag, daß dieser Roman mein Leben verändern wird. Hat er zwar nicht, aber er hat es zwei Tage lang diktiert, mich zum Weiterlesen getrieben. Alles spricht gegen das Machwerk: Riesige Auflage, dumme Sprüche, schlechte Adresse

-Bahnhofskioskware eben.

Um was geht es eigentlich? Es geht um das Charakter -Würfeln, und es geht um Sex. Sex war 1971, als „Der Würfler“ erstmals erschien, ein anderer als heute, ganz kalt, total veraltet in dieser Hinsicht. Es geht auch um Psychologie und Therapieformen. Da hat sich kaum was verändert, also ist Rineharts Roman brandaktuell, was seine Charakterlosigkeit angeht. Da würfelt einer um sein Leben, nicht in einem Spiel, ganz echt, weil er Charakterstabilität für Psychologenunsinn hält. Er lebt sein Leben nach dem Zufallsprinzip des Würfels. Die ganze Welt ist Zufall, warum soll der Mensch sich nicht zufällig verhalten. Rinehardt springt von Erzählperspektive zu Erzählperspektive, der Würfel will es so, und läßt keine Gelegenheit aus, seine Gags unterzubringen. Das Witzniveau schwankt beträchtlich, aber er hat mich, trotz einiger Schwächen, auch im Aufbau, bis zum bitteren Ende durchhalten lassen. Leider fehlt in der Moewig-Ausgabe das wichtige Pseudovorwort.

Was kann schon herauskommen, wenn ein Autor ein Drehbuch in die Hand gedrückt bekommt, und das Buch zum Film schreiben soll? Das witzige Buch zum lächerlichen Film ist Ellis Weiner mit seiner Fassung von „Howard the Duck“ gelungen. Wenn auch die Marvel-Comicserie (1975-1981) über die dieser Welt entfremdeten Ente („trapped in a world he never made“) noch besser als der Roman ist, so ermöglicht das Buch einen ersten Kontakt mit Howard, eine deutsche Fassung der Comics wird es wohl nie geben. Leider! Die Filmbilder in der Goldmann-Ausgabe sollte man unbesehen herausreißen. Unmöglich, daß man aus dem ersten Marvel-Comic für Leute über zwanzig, einen Film für Kinder unter zehn machen kann.

Damit der USA-Tourismus nicht ganz aus den Augen verlorengeht, hier die Reiseerlebnisse einer Deutschen in den USA, deren Humor, wenn auch unfreiwillig, manchen US -Autor in den Schatten stellt. Gisela Bonn, die Afrikaforscherin, trieb sich 1968 in Haight Ashbury rum, und weils so schön, neu und psychedelisch war, schrieb sie das Econ-Buch „Unter Hippies“. Da finden sich Kleinodien wie: „Der Strom der Jünglinge und Mädchen, der blutjungen Hippie -Mütter, die ihre Babies an die Brust drückten, der Väter mit Kinderwagen, in denen die mit der LSD-Droge eingelullten Sprößlinge schlummerten, riß nicht ab. Wohin wanderte diese Armee? Woher kam sie?“ Damals mag dieser Bericht über Lieben und Leiden der Hippies schon seltsam geklungen haben, heute liest er sich wie ein satirischer Roman. Und wenn die Autorin am Ende gar aufdeckt, daß ihr Führer durch die Szene, ihr Informant, eigentlich kein Hippie sondern ein Polizeispitzel ist, dann zeigt sie dichterischen Mut, den mancher Romancier nicht beim Erfinden von Geschichten aufbringt. Das Sach- und Lachbuch der Psychedelic-Revival. In den Grabbelkisten der Antiquariate oder halt im elterlichen Bücherregal zu finden, demgemäß auch das Prädikat: ermahnend und erbaulich!

Unfreiwillig ist Don DeLillos Humor nicht, mit „Weißes Rauschen“ hat er nach einigen durchweg ernsten und düsteren Romanen das witzigste Buch über das Sterben geschrieben, das ich je gelesen habe. Ernsthafte Literatur, wer immer ein schlechtes Gewissen hat, wenn er ein Buch liest, nur weil es unterhaltsam ist, sieht hier das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. Nützlich ist zum Beispiel DeLillos Einblick in die Köpfe des US-amerikanischen Mittelstands, wo sich, je tiefer der Roman dringt, geistiges Vakuum offenbart. Eine Welt, die nur noch aus Zeichen, aus Phänomenen besteht, die nicht mehr erklärbar sind. Dialoge gibt es in diesem Roman, die für die Kabarettbühne geschrieben sein könnten. Der Erzähler ist an der Uni eine Kapazität für Hitlerstudien, ein Kollege versucht ähnliches Renommee auf dem Gebiet Elvis-Presley-Wissenschaften zu erlangen. Aber hier, wie im Leben, gibt es nur noch eine Anhäufung von Datenmassen, Sinnstrukturen lassen sich nicht mehr finden, es ist eine Welt von Phänomenen, eine Analyse, selbst des Gesundheitszustandes des Erzählers, bringt auf dem Computerschirm nur blinkende Sternchen hervor, was sie bedeuten, sagt ihm keiner. Die Geschichte entwickelt sich rund um einen Chemieunfall, der eine Evakuierung zur Folge hat. Katastrophenschützer werden bei einer Übung vom Ernstfall überrascht, bestehen aber darauf, weiterhin zu üben. Der Ernstfall darf die Übungsbedingungen nicht durcheinander bringen. Vieles läßt an Baudrillard und seine „Simulation“, die die Realität ersetzt hat, denken. Das einzig Dumme daran, eine passable Simulation für den Tod, weil in dieser Welt, trotz Baudrillards Theorien, nicht gelingen. Don DeLillo beschreibt die Zunahme irrationaler, schizophrener Realität, die Entfremdung eines intellektuellen Mittelstandes, den Zusammenbruch rationaler Weltbewältigung, und gönnt dem Leser gar manches Lächeln. Leider ist die Übersetzung sehr behäbig und umständlich geraten.

Eigentlich bin ich wirklich alle Romane leid, die einen Lehrer oder Professor zum Hauptdarsteller machen, diese Typen sind fiktional bei weitem überrepräsentiert, und so fügt es sich gut, nach dem DeLillo-Ausrutscher, jetzt einen wirklich unmöglichen Menschen vorstellen zu können. Ignatius J. Reilly ist zwar auch irgendwie gebildet - nett, freundlich und durchschnittlich ist er aber nie. In der deutschen Fassung leider zum Ignaz verkürzt, eine schwachsinnige Idee, wo doch gerade Modernes aller Art, also auch Abkürzungen, für Ignatius ein Horror sind.

John Kennedy Toole beschreibt in „Ignaz, oder die Verschwörung der Idioten“ ein dreißigjähriges Riesenbaby, das seine Mutter und seine Umwelt terrorisiert, von seinem Lieblingsplatz, dem Bett, aus das 20. Jahrhundert niedermacht, schriftlich, auf losen Blättern, während es ständig in den Fernsehprogrammen neue Obszönitäten entdeckt, die es zu verdammen gilt. Durch finanzielle Probleme gezwungen, muß er erstmals arbeiten gehen, ein Umstand, der sein wohlgehegtes System von Ventilen, die sein körperliches Befinden regulieren, gehörig durcheinanderbringt. Nach einem Rausschmiß aus dem Büro seiner Firma, wo er fast eine Revolution der Arbeiter inszeniert hat, findet er schließlich als Würstchenverkäufer, mit sich selbst als bestem Kunden, eine neue Anstellung, wird in ein Pornographiegeschäft verwickelt und will die Revolution schließlich mit Schwulen, Sodomiten und Nutten organisieren. Die Handlung ist von ständigen Desastern durchsetzt, die das eigentliche Desaster, Ignatius, um sich herum verursacht. Wirr, eine wuchernde Story, zusammengehalten von einigen Figuren, die mal Nebenhandlung, dann plötzlich zentrales Geschehen veranstalten. Ein dreister Roman, nur aus Fabulierlust, so scheint es, geschrieben. Präzise Sprachbeobachtung führt zu Dialogen in breitestem Akzent des Südens, allein der macht das Buch schon lesenswert, aber wie der vollständige Name wird auch dieser der deutschen Fassung wohl fehlen. Ich habe sie nach zwei Seiten weggelegt, Ignatius als Ignaz? Unmöglich!

Nicht unerwähnt lassen kann man in Sachen US-Humor die netten Geschichten Richard Brautigans, die nach und nach bei Eichborn veröffentlicht oder wiederveröffentlicht werden, wenn auch mein Lieblingsroman, Dreaming of Babylon, eine irrwitzige Übersteigerung des heruntergekommenen und verträumten Privatdetektivcharakters in der Marlowe-Nachfolge, noch fehlt. Wer bis heute Joseph Hellers „Catch 22“ noch nicht gelesen hat, dem ist das Standardwerk des schwarzen Humors entgangen, und John Irvings „Garp“ empfehle ich nicht, zu kleinbürgerlich -muffig zieht mir der Autor über die ach so perverse Welt her (aber es verkauft sich, auch mit dem ekligen neuen Einband). Ähnliche Verkaufszahlen könnte John Barth mit dem „Tabakhändler“ erreichen, wenn er nur bekannter wäre, unmoralischer ist er auch, und spannender allemal. Und wer da wieder gen offiziell sanktionierter Hochkultur schielt, der wird sowohl bei Thomas Pynchons „V“ als auch bei Robert Coovers „Öffentlicher Verbrennung“ feststellen, daß auch hier der Leser mit sehr viel Aberwitz und Dennochwitz rechnen muß, wobei Coovers Bösartigkeit die Grenze erreicht, an der man zugeben muß, daß es zwar witzig ist, ohne Frage, aber ob man darüber noch lachen kann, oder ob hier Witzmuster zerstört werden, das macht manchmal grübeln.

Kurt Vonnegut: Katzenwiege, Piper, circa 10 DM (im modernen Antiquariat)

Luke Rinehart: Der Würfler, Moewig TB, 9,80 DM

Ellis Weiner: Howard die Ente, Goldmann TB, 7,80 DM

Gisela Bonn: Unter Hippies, Econ Aktuell 1968 (oft im Antiquariat)

Don DeLillo: Weißes Rauschen, Kiepenheuer & Witsch, 39,80 DM

John Kennedy Toole: Ignaz, oder die Verschwörung der Idioten, dtv, 14,80 DM

John Barth: Der Tabakhändler, rororo, 14,80 DM

Thomas Pynchon: V, rororo (Jahrhundert), 19,80 DM

Robert Coover: Die öffentliche Verbrennung, rororo, 12,80 DM

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