piwik no script img

Blockade: Doch kein Freispruch

Blockieren bleibt „verwerfliche Nötigung“, Motive spielen keine Rolle / Stammheim-Richter in Aktion  ■  Aus Stuttgart Dietrich Willier

Der Freispruch des Landgerichts Ellwangen im Prozeß gegen eine 73jährige Rentnerin, die 1985 zusammen mit anderen kurzfristig das Mutlanger Pershing-Depot blockiert hatte, ist aufzuheben. So das knappe gestrige Urteil des 3.Strafsenats am Oberlandesgericht Stuttgart. Blockaden, das habe der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung im Mai diesen Jahres geklärt, stellten grundsätzlich eine verwerfliche Nötigung dar, Motive, Ziele und Fernziele seien nicht zu berücksichtigen. Schließlich, so der Vorsitzende Richter Werner Knospe, gehe es nicht nur um den Schutz des Freiheitsraums Dritter, sondern um die „Friedenssicherheitspflicht des Staates“. Gründe für eine „geringe Schuld“ mochte er nicht erkennen, Gewalt sei eben mehr als nur Gewalttätigkeit, und überhaupt werde der Freispruch des Ellwanger Landgerichts dem grundsätzlichen Spruch des Bundesgerichtshofs nicht gerecht. Fortsetzung auf Seite 2

FORTSETZUNGEN VON SEITE 1

Schlichter hätte das Urteil des OLG-Stuttgart nicht ausfallen können, nur fünf Minuten dauerte die Begründung. Die Rentnerin Ursula Schmidt-Braul wird sich jetzt ein weiteres Mal vor dem Ellwanger Landgericht verantworten müssen. Sollte sie dann verurteilt werden, dann will ihre Verteidigung Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen.

Am 22.April dieses Jahres hatte Richter Renschler vom Landgerich Ellwangen Frau Schmidt-Braul freigesprochen, nicht zuletzt unter Hinweis auf die salomonische Auslegung des Nötigungsparagraphen durch das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr. Grundsätzlich, darauf hatten sich alle acht Verfassungsrichter geeinigt, müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, ob eine Nötigung verwerflich und damit strafbar sei; grundsätzlich seien auch Motive und Ziele von Blockierern zu beurteilen.

Doch was schert den 1.Senat des Bundesgerichtshofs schon ein Spruch vom Verfassungsrichter. Eine Nötigung, so ihr Grundsatzurteil vom Mai dieses Jahres, sei durch keinerlei Motiv oder Fernziel zu rechtfertigen, das verbiete schon das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“. Die Staatsanwaltschaft Ellwangen nahm diesen Hinweis für eine Revision dankbar auf. Das Ergebnis: Das erste Urteil eines Oberlandesgerichts, das sich nicht einmal mehr die Mühe einer eigenständigen Begründung machte.

Da erstaunt kaum mehr, daß alle betroffenen Richter dieselbe juristische Schule durchlaufen hatten: Stammheim! Dr.Foth, heute Vorsitzender des 1.Strafsenats am Bundesgerichtshof, hat den ersten großen Stammheim-Prozeß gegen Baader, Ensslin und Raspe zu Ende gebracht; Dr.Knospe verurteilte Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt zu je mehr als fünfmal lebenslänglich; Dr.Berroth, der schießende Stammheim-Richter und heutige Vorsitzende des 4.Strafsenats am OLG Stuttgart hat sich mit Nötigungsurteilen ebenfalls schon einen Namen gemacht. Und selbst der freisprechende Ellwanger Richter kam einst aus Stammheim - allerdings mit Karriereknick.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen