: Hunde im All und Nordland-Pubertät
■ Seit gestern läuft in der Schauburg der schwedische Film „Mein Leben als Hund“, eine Art Heimatfilm über ein nettes Chaotenkind, das mit einer improvisierten Raumkapsel auf der Dorfstraße strandet
Schweden, Juli 1959. Floyd Patterson boxte gegen Ingemar Johansson und verlor. Ein automatischer Toaster gehörte noch zu den vielbestaunten Errungenschaften scheinbar unbegrenzter Technik. Die Winter waren noch weiß und die Sommer heiß. Die Menschheit aber war im Begriff, den Weltraum zu erobern - zur Not auch mal mit Hunden. Leika hieß damals das Geschöpf, das mit einer Kapsel ins All geschossen wurde.
Um diesen Hund kreisen die Gedanken des 12-jährigen Ingemar (Anton Glanzelius). Weil er selbst einen Hund hat, stellt er sich oft das große dunkle Universum vor, in dem Leika nun ohne ausreichend Futter der Ewigkeit entgegenschwebt.
Klein Ingemar ist ein sonderbarer Junge. Zuweilen brät er schon mal statt Brot einen panierten Topflappen in der Pfanne. Er ist auch forscherneugierig genug, um vor versammelter Nachbarskindschaft an sexuell aufklärerischen Demonstrationen in einem Schuppen teilzunehmen (der Versuch, anhand einer Bierflasche, die als weibliches Geschlechtsorgan herzuhalten hat, den Zeugungsakt darzustellen, endet allerdings schmerzhaft mit einem Saugeffekt im Flaschenhals), hat allerdings auch seine mentalen Blockaden. Da geht schon mal was in die Hose, und der Inhalt seines Milchglases landet nach
vergeblichen Versuchen, ihn mit zittrigen Fingern in den Mund zu befördern, klatschend im Gesicht. Die kränkelnde Mutter nimmt's hysterisch und gesundet nicht. „Warum tust Du das?“, fragt sie ihn kläglich, und der nonkonformistische Chaot antwortet mehr ahnend als wissend: „Ich bin wohl im Übergangsalter“.
So landet der präpubertäre Ingemar zur Verschickung auf dem Land bei seinem Onkel, einem jungenhaften Krauskopf, der immer die gleiche Schallplatte hört und auch sonst etwas wunderlich
durchs Leben tapst. Dieses Dorf mit seinen liebenswerten, ungewollt anarchistischen Bewohnern bietet Ingemar den angemessenen Freiraum, sich umzuschauen und zu entwickeln. Dem rachitischen Oheim muß er heimlich hochnotprüde Miederannoncen vorlesen, er nimmt teil am Bau eines Lusthauses, das sein Onkel auf Nachbars Grund errichtet, und scheitert in einer improvisierten Raumkapsel mitten über der Dorfstraße.
Saga, das Mädchen, das so gern Fußball spielt und boxt, konfrontiert ihn mit den körperlichen
„Leiden“ der Pubertät, und Berit, die barocke Blonde aus der Glashütte zeigt ihm, wie so ein Frauenkörper nach der Rundrum-Reife ausschaut.
Der Hund, der ins Tierheim kam, und die Mutter, die weiter dahinsiecht, scheinen vergessen.
„Mein Leben als Hund“ von Lasse Hallström (nach einem Roman von Reidar Jönsson) ist ein Heimatfilm im besten Sinne. Seine Nähe zu Werken wie Forsyths Local Hero, Bormans Hope and Glory oder Menzels Heimat, süße Heimat ist unverkennbar. Und siehe: Im Abspann erscheint
irgendwann Jiri Menzel, der Tschecheslowake, der dieses Genre so perfekt beherrscht.
Es ist die naiv chaotische Gelassenheit der Filmfiguren, die Alltägliches immer wieder zu einem kleinen Abenteuer werden läßt. Ingemars ungebündelte Energie wird in der ländlichen Umgebung beschützend abgefedert, und so vermag auch der Tod der Mutter kaum eine psychische Katastrophe anzurichten. Zwar weicht das sympathisch destruktive Gebaren zwischenzeitlich einem ängstlichen Raten nach dem „Wohin“, doch alsbald vereinnahmen die Kapriolen der Dorfbewohner die Aufmerksamkeit des Jungen wieder.
Diese schon 1985 fertiggestellte schwedische Produktion spielt mit der erträglichen Leichtigkeit des Seins aus der Sicht eines Kindes. Ist aber beileibe kein Kinderfilm. Athmosphärische Grautöne setzen Kontraste, die immer wieder durch unbekümmerte Farbtupfer von Spontaneität aufgehellt werden. Ein positiver Film, fürwahr. Aber längst keine kitschige Romantik. Und das ist die Hauptsache.
Jürgen Francke
Schauburg, 19 Uhr
Schweden 1985
Regie: Lasse Hallström, Darsteller: Anton Glazenius, Anki Linden, Tomas von Brömssen, Melinda Kinnaman, Kamera: Jörgen Persson.
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